Ein Rachefeldzug mit Bulldozern

Ein UN-Bericht zieht eine vernichtende Bilanz von Simbabwes Politik, so genannte informelle Siedlungen zu zerstören und ihre Bewohner zu vertreiben

VON DOMINIC JOHNSON

Die Bilanz ist verheerend. 700.000 vom Staat obdachlos gemachte Menschen, bei einer Einwohnerzahl von 11,5 Millionen, bilanziert ein UN-Untersuchungsbericht als Ergebnis der staatlichen Slumräumungen in Simbabwe seit Mai. „Operation Murambatsvina“ – Operation Müllentsorgung – nennt Simbabwes Regierung ihren Feldzug gegen „informelle“ Siedlungen; von „Operation Tsunami“ sprechen die Betroffenen. „Hunderttausende von Männern, Frauen und Kindern haben ihre Heimat verloren und haben keinen Zugang zu Nahrung, Wasser, sanitären Einrichtungen oder Gesundheitsversorgung“, so der am Freitagabend veröffentlichte UN-Bericht. „Die überwiegende Mehrheit der direkt und indirekt Betroffenen sind die armen und benachteiligten Teile der Bevölkerung.“

Jahrelang behauptete Simbabwes Machtelite um den seit 25 Jahren herrschenden Präsidenten Robert Mugabe, sie wolle für die schwarze Bevölkerungsmehrheit nur das Beste: Die Besetzung kommerzieller Großfarmen im Besitz von Weißen nütze landlosen Schwarzen, die Unterdrückung von Gegnern verringere den Einfluss der Exkolonialmacht Großbritannien, Simbabwe befinde sich an der Spitze einer afrikanischen Revolution gegen den Neokolonialismus. Aber jetzt sind es der aus Afrika stammende UN-Generalsekretär Kofi Annan und die UN-Sonderbeauftragte Anna Kajumulo Tabaijuka, ebenfalls aus Afrika, als Chefin des UN-Siedlungsprogrammes „Habitat“, die vernichtend Mugabes Wirken kritisieren.

Zivilgesellschaftliche Gruppen aus Simbabwe selbst haben seit dem Beginn der Zerstörungsaktionen aufrüttelnde Berichte vorgelegt: Überfälle von Armee und Polizei mitten in der Nacht; Zerstörung der gesamten Habe armer Familien vor ihren Augen; herumirrende Menschen zu Tausenden in den kalten Nächten des derzeitigen Winters auf der südlichen Erdhalbkugel.

Sogar die Behörden versuchten oft nicht mehr, das zu beschönigen. „In den Kooperativen Nyadzonia und Chimoio herrschten Drama und Chaos, als gegen vier Uhr nachmittags rund 25 Polizeilastwagen mit quietschenden Bremsen anrückten und rund 250 Polizisten in die Siedlung liefen“, berichtete die Regierungszeitung Herald. „Innerhalb von Minuten machten zwei Bulldozer die illegalen Hütten dem Erdboden gleich, während ihre Bewohner in Panik versuchten, ein wenig von ihrer Habe herauszuziehen“.

Der unabhängige „Solidarity Peace Trust“ berichtete Ende Juni, wie Menschen per Lastwagen auf verlassene Farmen gebracht wurden – wo sie sich dann nur mit Plastiktüten gegen die kalten Nächte schützen können. Der UN-Bericht nennt Orte, wo zehntausende Menschen unter freiem Himmel gehaust haben, viele davon erkrankt – ein Viertel der Bevölkerung ist HIV-positiv.

Offiziell erklärten die Behörden, sie wollten einfach ungenehmigte Bauten zerstören, um Recht und Ordnung durchzusetzen; ihre Aktionen gingen einher mit der Zerstörung von Straßenmärkten und der Festnahme tausender fliegender Händler. Doch ganz abgesehen davon, dass die meisten Menschen in Simbabwe keine Alternative zur informellen Wirtschaft haben, fielen auch legale Siedlungen den Bulldozern zum Opfer – Häuser von Bürgerkriegsveteranen, eigentlich Anhänger des einstigen antikolonialen Befreiungskämpfers Mugabe; oder auch Kooperativen, die gerade erst offizielle Eigentumstitel erhalten hatten. Die üblichen Fristen, die zur Räumung „illegaler Strukturen“ vorgesehen sind, wurden meistens sowieso nicht eingehalten. Das einzige konstante Muster: Betroffen waren Gegenden, die bei den Wahlen vom März für die Opposition gestimmt hatten.

Der Bericht der UN-Untersuchungskomission nennt auf der Grundlage offizieller Daten vom 7. Juli präzise Zahlen: 92.460 zerstörte Häuser mit 133.534 Haushalten, was nach der durchschnittlichen Haushaltsgröße in Simbabwe 569.685 Personen bedeutet. Dazu kommen 32.538 zerstörte Kleinunternehmen, von denen 97.614 Menschen lebten. Zusammen mit rund 40.000 Festnahmen seien also 650.000 bis 700.000 Menschen direkt von der „Operation Murambatsvina“ betroffen, so der Bericht. Indirekt betroffen – durch den Verlust von Mieteinnahmen, anderer Einkommensquellen oder Arbeitsplätze – seien 2,1 Millionen Menschen. Mit Überschneidungen und Auslassungen könne man von 2,4 Millionen Betroffenen insgesamt ausgehen.

Die Wirkungen gehen aber noch tiefer. „Der informelle Sektor ist praktisch ausgelöscht worden“, bilanziert der Bericht. Die informelle Wirtschaft beschäftigte schon 1998 40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung des Landes. Seitdem ist auch die formelle Wirtschaft zu großen Teilen planmäßig zerstört oder in den Bankrott getrieben worden. Von Simbabwes Volkswirtschaft, einst eine der stärksten Afrikas, ist also so gut wie gar nichts mehr übrig.

Die UN-Untersuchungskommission verließ Simbabwe am 8. Juli nach zwei Wochen Aufenthalt. Eine Woche später erklärte Simbabwes Regierung einen Stopp der Vertreibungen. Aber noch letztes Wochenende dauerte die Gewalt an. In Porta Farm außerhalb der Hauptstadt Harare rückte die Armee in eine Siedlung mit 15.000 Einwohnern ein und brachte die Menschen mit Lastwagen weg. In der Stadt Bulawayo räumten Sicherheitskräfte Kirchen, in denen Vertriebene Zuflucht gefunden hatten. Die Menschen wurden erst auf die verlassene Farm Helensvale gebracht und dann wieder verscheucht, berichteten südafrikanische Medien.

„Jetzt werden sie im Busch abgesetzt“, wurde ein Menschenrechtsaktivist zitiert. „Man sagt den Leuten, dass sie ins Gefängnis kommen, wenn sie keine ländliche Region nennen, in die sie hinkönnen. Wer nicht in Simbabwe geboren wurde, kriegt gesagt, dass er auf eine Farm in Mashonaland kommt und nie mehr hinausdarf. Oder dass man ihn in den Sambesi-Fluss wirft.“