URNENBESTATTUNG: SACHSEN-ANHALT MACHT DEN VORREITER
: Pietät braucht keinen Friedhof

Es sollte zu denken geben, dass ausgerechnet die Nazis, die die Asche ihrer Opfer am liebsten verstreuten, 1934 per Reichsgesetz den „Friedhofszwang“ einführten. Seitdem müssen Särge und Urnen auf Friedhöfen beerdigt werden – und das ist nicht unbedingt pietätvoller, als dies etwa im eigenen Garten zu tun. Insofern ist es angemessen, dass nun auch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt versucht, das Bestattungsrecht zu liberalisieren. „Friedhofszwang“, „Sargpflicht“ und welch bürokratische Wortungetüme es im Bestattungswesen noch gibt, garantieren keinesfalls einen würdevolleren Umgang mit den sterblichen Überresten Verstorbener.

Andererseits sind die Warnungen etwa der Kirchen nicht völlig belanglos: Niemand könne sicherstellen, dass nicht die nächste Generation die Urne mit Opas Asche zum Hausmüll wirft, wenn dieses Überbleibsel lästig wird. Ganz zufällig dürfte es auch nicht sein, dass gerade im weitgehend entchristianisierten und zusätzlich armen Sachsen-Anhalt der Wunsch aufkommt, doch bitte nicht zu viel Last und Kosten bei der Bestattung eines toten Verwandten zu haben. Die Urne auf dem Sims des Kachelofens ist eben auch billiger als die auf dem Friedhof.

Dennoch: Die Beispiele der durch und durch katholischen Länder Italien und Spanien zeigen, dass die Frage nach dem Bestimmungsort der Urne, zu Hause oder nicht, nichts über die Pietät des Angedenkens an die Toten sagt. Auch in den Niederlanden gab es nach einer weitgehenden Liberalisierung des Bestattungsrechts keinen Wildwuchs. Dagegen wird derzeit in Deutschland aufgrund der restriktiven Gesetzeslage immer mehr gemauschelt, um mit der Asche eines Verstorbenen das zu tun, was er zu Lebzeiten wollte: sie im Kreis der Familie oder im gewohnten Umfeld zu lassen. Deshalb ist es gut, wenn Sachsen-Anhalt nun das heiße Eisen anpackt und wenigstens ein paar Pflöcke mit grundsätzlichen Regeln in den Friedhofsboden rammt. Auf dass künftige Generationen sich die Frage nach dem würdevollen Umgang mit Toten erneut stellen können. PHILIPP GESSLER