Ihr habt alle zu viel Zeit

Deutschland (12) – die wöchentliche Kolumne aus der Republik von Henning Kober. Heute: Vom Wandern

So sollte meine Woche beginnen: einen Gipfel machen. Ich war in der „Stuttgarter Region“, wie alle Schwaben so schauerlich sagen, und dachte, früh am Morgen los, nach Oberstdorf. Dort den Weg hochrennen, Kühe, Puls, Sonne. Matt unterm Kreuz sitzen, in die Wunder der Ferne schauen. An der Hütte ein großes Bier und Jausenbrot. Ein Tag der Gesundheit und Weitsicht. Mein Partner hatte dann Befürchtungen wegen des Unwetters, das tatsächlich am Nachmittag gewaltig losdonnerte, und so lag ich auf dem Bett und telefonierte.

Mein Freund Valtin in Berlin war traurig, weil das Fernsehen zeigt, wie Enten ertrinken. „Alles ist so viel Mühe, manchmal könnte man einfach aufhören damit.“ Ich erzählte ihm vom nicht gestürmten Gipfel und das brachte ihn auf andere Gedanken. Ein paar gut größenwahnsinnige Architekten bauen in den Palast der Republik ein Matterhorn, 44 Meter hoch, über die Decke hinaus. „In Mitte very irony“, meinte Valtin, weil ja sowieso so viele jede Nacht steigen, aufs Matterhorn. Bis dann, wirf einen Schatten in meine Richtung.

Zurück in Berlin, es regnet die ganze Zeit. Im Radio läuft „Ich war noch niemals auf Hawaii“. Sofort muss ich an Frau Merkel denken. Auf der Internetseite des Bundespräsidialamtes nennt Frau Köhler ihre Hobbys: Wandern und Chorsingen. Ihr Mann hat sich entschieden, auf Angela wartet eine Palme. Unsere Kanzlerin, ein Blumenmädchen am Strand, schrecklicher als Paddeln im Wolfgangsee oder dicke Hose an der Amalfi-Küste wird es nicht. Vielleicht fährt Angela auch nach Angola. Ich höre lieber Adolf Noise.

Das Lokal Dante unter dem S-Bahnhof Hackescher Markt hat seine Bar angeschickt. Weiße Lackfolie, Polsterbarhocker, rosa Deko. Sieht aus wie in South Beach, Florida. Reine Koks-Ästhetik, nicht Scarface, natürlich, aber für Miami Vice reicht es. Alle sind extrem blondiert, extrem gebräunt in weißen engen Kleidern und spielen Heffner-Party.

Wie schön wär’s, käme jetzt Gunter Gabriel aus dem Dunkel des angrenzenden Parkplatzes, würde eine Heckler in den Himmel abfeuern und schreien: „Ihr habt alle zu viel Zeit.“ Aber da drücken sich nur Gestalten mit Stabtaschenlampen durchs Dunkel. Und kontrollieren die Parkscheine. So ist Deutschland.