Die Musik ist leiser geworden

Nach den Attentaten versucht Scharm al-Scheich zur Normalität zurückzukehren. Doch ein Rucksack ist auch hier nicht einfach nur ein Rucksack

AUS SCHARM AL-SCHEICH KARIM AL-GAWHARY

Mit dickem, graubraunem Zeltstoff wurde inzwischen die eingestürzte Fassade des Ghazala Garden Hotels verdeckt. Ein unsicher anmutender Versuch, die Spuren der drei Anschläge im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich zu verhüllen, denen in der Nacht von Freitag auf Samstag mindestens 88 Menschen zum Opfer fielen. Unter den Toten sind auch zahlreiche Ausländer. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt.

Die drei Bomben waren in der Nacht zum Samstag in Scharm al-Scheich und dem benachbarten Touristenzentrum Naama Bay explodiert. Der erste Anschlag ereignete sich gegen 1.10 Uhr Ortszeit (0.10 Uhr MESZ) auf einem belebten Basar der Stadt, als eine Autobombe explodierte. CNN berichtete, es habe sich dabei um ein Selbstmordattentat gehandelt.

Wenige Minuten später raste bei dem schwersten der drei Anschläge offenbar ein zweiter Selbstmordattentäter mit einem Auto in die Eingangshalle des Ghazala Garden Hotels in Naama Bay. Ein Wachmann, der ihn aufhalten wollte, wurde getötet. Ein Teil des Hotels stürzte ein. Die dritte Bombe, die vermutlich in einer Tasche versteckt war, explodierte auf einem Parkplatz vor einem Café, das vor allem von ägyptischen Hotelangestellten besucht wird.

Am alten Marktplatz von Scharm al-Scheich ist die große Uhr genau um zehn nach eins stehen geblieben, zum Zeitpunkt der ersten Explosion. Der Platz ist mit Glassplittern übersät. Dazwischen liegen die Sandalen von Opfern. Ein verkohlter Motorblock liegt mitten auf der Straße. Andere Teile des Autos, in dem sich die Sprengladung befand, liegen hunderte Meter davon entfernt. Ein Hinweis auf die Größe der Sprengladung und die Wucht der Explosion.

Auch noch am Sonntagmorgen ziehen schaulustige Touristen oder Mitarbeiter der benachbarten Hotels zu den Plätzen, an denen die Bomben explodierten. Die Stimmung ist gedrückt. „Ich will einfach begreifen, was hier geschehen ist“, erklärt eine britische Reisende. Andere nehmen die Szenen mit ihren Handys oder mit ihren Urlaubskameras auf.

Bis zum Sonntagabend haben tausende von Touristen den Badeort verlassen. Viele Botschaften haben Teams nach Scharm al-Scheich geschickt. Sie organisieren Sonderflüge, um ihre Landsleute möglichst schnell nach Hause bringen zu können. Ein Vorrecht auf die nur begrenzt verfügbaren Plätze haben jene Reisenden, die ihre Zimmer in der Nähe der Attentatsorte hatten, sowie Familien mit Kindern.

Die Mitarbeiter der Hotels, Läden und Restaurants versuchen dennoch, einen Schein von Normalität zu wahren. Nachdem sie die Scherben der geborstenen Fensterscheiben zusammengekehrt haben, beginnen die Ober die Tische zu decken. Aus vielen Bars und Restaurants ist wieder Musik zu hören, wenngleich nicht so laut wie üblich. Immer wieder wird die Musik von den Flugzeugen übertönt, die in kurzen Abständen über den Ort fliegen, um die abreisewilligen Touristen abzuholen. So bleiben die Tische weitgehend leer.

In einer bekannten Bar, normalerweise Treffpunkt von Tauchern, die sich am Ende des Tages von den Fischen und Korallen erzählen, sind nur vier Tische besetzt. Man versucht, sich abzulenken, in der Ecke läuft ein Fernseher, nicht mit Nachrichten, sondern Spielen der englischen Fußballliga.

Jemand hat seinen Rucksack auf dem Barhocker stehen lassen. Die wenigen Anwesenden beginnen zu witzeln, dass es sich um ein Bombenpaket handeln könnte. Zumindest an diesem Abend glaubt keiner an einen weiteren Anschlag. Gebannt schauen aber alle zu, als eine Frau schließlich den Rucksack öffnet und durchsucht. Erleichterung macht sich breit: Er enthält nur eine Tauchausrüstung. Entspannt wenden sich die Menschen wieder ihrem Bier und ihren Gesprächen zu.

Bereits am Samstag hatte der ägyptische Präsident Husni Mubarak die Attentatsorte besucht und erklärt, dass die Anschläge nur die Entschlossenheit des Landes verstärken würden, den Terrorismus auszurotten. Man lasse sich nicht von Terroristen erpressen. Wenig später, in der Nacht zum Sonntag, wurden dann 35 Männer, meist Beduinen, rund um Scharm al-Scheich festgenommen. Die Polizei sagte allerdings nicht, ob die Verhaftungen in Zusammenhang mit den Attentaten stehen.

Auf einer Internetseite bekannte sich eine Terrorgruppe namens „Brigaden des Märtyrers Abdullah Assam der Al-Qaida-Organisation in Großsyrien und Ägypten“ zu den Attentaten. Diese seien ein Schlag gegen „Kreuzfahrer, Zionisten und das abtrünnige ägyptische Regime“, heißt es dort. Allerdings hat sich die Gruppe zuvor auch zu anderen Anschlägen bekannt, die ihr am Ende nicht zugerechnet worden waren.

Das ägyptische Innenministerium verfolgt eine andere Spur, die zu einem Attentat im letzten Oktober in Taba im Norden Sinais führt. Bei diesem waren 34 Menschen, überwiegend israelische Touristen, ums Leben gekommen. Wie jetzt in Scharm al-Scheich raste auch damals ein mit Sprengstoff beladener Wagen in die Hotellobby. Am Wochenende begann der Prozess gegen die mutmaßlichen Attentäter; die Polizei sucht jetzt nach einem möglichen Zusammenhang zwischen beiden Anschlägen.

Wenn die ägyptische Polizei ihre Untersuchungen wie in Taba leiten wird, dann sind in den nächsten Tagen Massenverhaftungen zu erwarten. Im Oktober letzten Jahres waren nach einem Bericht der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch über 2.400 Menschen festgenommen worden. Meist existierte dabei kein offizieller Haftbefehl, und oft wurde den Verwandten nicht gesagt, wohin ihre Angehörigen gebracht werden. War der Gesuchte nicht zu Hause, wurde in einigen Fällen ein Verwandter als eine Art Geisel mitgenommen. „Der Pascha möchte dich sprechen“, lautete der Standardsatz, bevor die Leute rund um al-Arisch im Nordsinai in Polizeigewahrsam verschwanden. Pascha ist die kurze Bezeichnung für den lokalen Sicherheitschef.