Dominikus Müller schaut sich in den Galerien von Berlin um

Letzten Samstag, auf dem Balkon. Es ist das Wochenende der großen Berliner Kunstmesse. Uli und ich gucken aus dem 11. Stock auf die Tram hinunter, die in der Spandauer Straße verschwindet. Wir bewundern den Dachaufbau der Straßenbahn, den man nur aus dieser Perspektive zu Gesicht bekommt. Das sähe aus wie ein Gemälde, sagt Uli. Vom wem, das sagt er auch noch. Aber den Namen habe ich sofort wieder vergessen. Im abendroten Himmel wirft ein Rabe direkt vor uns einen Wurm in die Luft und fängt ihn im Flug wieder auf. Uli ist begeistert. Weil der Rabe diesen grandiosen Trick hier hoch oben über den Dächern ganz für sich allein performt. Und weil das niemand sieht. Welchen Wert hätte das denn dann eigentlich? Ich beschwere mich, dass es in dieser Stadt kein Leben außerhalb der zeitgenössischen Kunst mehr gibt. Uli sagt nur lapidar: „Ja, aber auch keins innerhalb.“ Womit wir beim Punkt wären. Denn wenn man dieser Tage durch die zahllosen Ausstellungsräume Berlins zieht, dann drehen sich alle nur im Kreis: die Künstler, die Galeristen, die Kuratoren und die Kritiker, der Betrieb im Allgemeinen und die Kunst im Speziellen. Aber ständige Selbstbespiegelung nervt einfach irgendwann. Ob man jetzt Selbstreflexion oder Nabelschau dazu sagt, ist dann auch schon irgendwie egal. Vieles, was man da zu Gesicht bekommt, ist in dem Moment schon wieder vergessen, in dem man die Ausstellung verlässt. Deswegen zur Abwechslung mal keine Empfehlung für einen der vielen Galerie- oder Projekträume. Stattdessen sei jedem nahegelegt, einen verregneten Nachmittag in der Gemäldegalerie zu verbringen. Die van Eycks und Bruegels, die Tizians, Caravaggios, die Rembrandts oder Vermeers hängen da schon eine ganze Weile. Und wahrscheinlich noch ein bisschen länger. Wegen dieser Inaktualität tauchen sie hier nie auf. Und das ist doch eigentlich sehr schade.

■ Gemäldegalerie am Kulturforum, Di–So 10–18 Uhr, Do bis 22 Uhr, Stauffenbergstr. 40