Ins Bein geschossen

Stev Theloke übt Kritik an DSV-Sportdirektor Beckmann und wird dafür vorzeitig nach Hause geschickt

MONTREAL taz ■ Der weiße Riese kannte kein Erbarmen. Als Stev Theloke den Raum betrat, in dem sein Urteil verkündet werden sollte, baute sich Ralf Beckmann in der Tür auf und schickte den Rückenschwimmer höchstpersönlich wieder hinaus. „Du gehörst nicht mehr dazu“, sagte der Sportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) und drehte sich forsch um. Der Chemnitzer musste draußen bleiben. Und der weißhaarige DSV-Spitzenmann erläuterte drinnen lange und wortreich, warum er den 27-Jährigen sofort nach Hause schickt. Es war der negative Höhepunkt dieser Schwimm-WM in Montreal, und seine Inszenierung hatte Züge einer Gerichtsshow.

Das Vergehen von Theloke war eindeutig: In einem Interview mit Sport-Bild hatte der Europameister über 50 Meter Rücken den Sportdirektor scharf kritisiert. Beckmanns Gerede sei „Schall und Rauch“, er würde die Medien „verarschen“ und der Sportler sei „am Ende der Dumme“. Harter Tobak, von der Sport-Illustrierten kurz vor Start der Becken-Wettbewerbe so provokativ platziert, dass der DSV reagieren musste. Beckmann selbst wollte aber zunächst den Angeklagten anhören: In einem persönlichen Gespräch fragte er Theloke, ob er die Zitate so freigegeben habe. Der Schwimmer bejahte, Beckmann gab ihm daraufhin Gelegenheit, die Äußerungen zu überdenken und sich davon zu distanzieren. Für den Sportdirektor die Chance, mildernde Umstände walten zu lassen und Theloke doch noch über die 50 m Rücken an den Start zu schicken – eine Art Vergleich.

Weil Theloke bei seiner Kritik blieb, ging die Sache ihren Gang. „Ich habe ihn um 10.20 Uhr von seinem Ausschluss informiert“, sagte Beckmann. Sieben Stunden später saß der Chemnitzer im Flugzeug nach Deutschland – Ende einer Dienstreise. Beckmann hatte Thelokes Worte als „vollendete Verleumdung“ und „Äußerungen mit verbandsschädigender Wirkung“ beurteilt und die Höchststrafe verhängt: Rauswurf aus dem WM-Kader, Rauswurf aus dem DSV-Athletenkader, seit Donnerstag ist Theloke ein ganz normaler Zeitsoldat.

Hatte er noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen? „Ich sage vielleicht zu oft, was ich denke, und bin zu unbequem“, sagte der 27-Jährige. Theloke räumte ein, dass er sich selbst an Beckmanns Stelle auch entlassen hätte. „Ich habe mich bei ihm entschuldigt“, sagte er noch und machte sich auf den Weg zum Flughafen.

„Stev Theloke wird für diese WM bestraft“, sagte Ralf Beckmann schließlich, „ich bin nicht sein Richter – und er kriegt nicht lebenslänglich.“ Es ehrt den Sportdirektor, dass er dem Schwimmer auf diese Weise eine Bewährungschance einräumt. Allerdings gilt Theloke als Wiederholungstäter: Schon 2003, bei den deutschen Meisterschaften in Hamburg, musste der Chemnitzer mit dem Hinweis auf sein Dienstverhältnis als Sportsoldat zu einem Start gezwungen werden. Nun drohen Theloke weitreichendere Folgen: Als Nicht-Kader-Athlet kann er nicht mehr von der Bundeswehr für seinen Sport freigestellt werden, andere Privilegien gehen ebenfalls verloren. Mit einem einzigen Interview hat Theloke, der das Herz oft auf der Zunge trägt, seine schwimmerische Zukunft aufs Spiel gesetzt, vielleicht sogar ganz verbaut.

Von den anderen Schwimmern, die bei der Verkündigung Geschworenen gleich rechts und links neben ihm saßen, erfuhr Sportdirektor Beckmann Unterstützung. Thomas Rupprath bezeichnete Thelokes Verhalten als „totale Dummheit“. Aktivensprecherin Anne Poleska sagte: „Er hat sich und der Mannschaft ins Bein geschossen.“ Und Mark Warnecke, der bei dieser WM der älteste Teilnehmer sein wird, verstand gar nichts. „Wie in Familien, in denen die wichtigsten Dinge nicht besprochen werden“, sagte der 35-Jährige, „das hat das Niveau einer Nachmittags-Talkshow.“ Zur Gerichtsshow ist es da nicht weit. JÜRGEN ROOS