heute in bremen
: „Ihr Blick auf Mutterschaft war negativ“

Foto: Lars Mensel

Julia Korbik 32, ist Autorin und Journalistin. Sie hat einen Blog über Simone de Beauvoir betrieben, der auch als Buch erschienen ist.

Interview Eiken Bruhn

taz: Frau Korbik, ich bezeichne mich als Feministin, aber Simone de Beauvoir hat mich nie interessiert. Warum sollte sie das?

Julia Korbik: Weil ihre Analysen immer noch total aktuell sind! Sie gilt zwar manchen als überholt, aber sie vieles als erste analysiert und beschrieben und damit die Grundlagen für vieles geschaffen, was heute noch für Feministinnen von Bedeutung ist.

Haben Sie ein Beispiel?

Sie hat dargestellt, wie man als Frau ein freies authentisches Leben führen kann, und sich auch damit beschäftigt, wie Frauen zusammenarbeiten können. Sie hat den Zusammenhang zwischen dem Privaten und dem Politischen erkannt.

Aber sie kann Frauen rein gar nichts darüber sagen, wie sie ihr freies authentisches Leben mit Kindern führen können, oder?

Nein, das ist ein Vorwurf, der ihr oft gemacht wurde, zu Recht. Sie hat hier einen blinden Fleck, weil ihr Blick auf Mutterschaft ausschließlich negativ war. Das mag aber auch mit der Zeit zu tun haben, in der sie gelebt hat. Eins ihrer großen Themen war das Recht auf Verhütung und Schwangerschaftsabbruch, weil damals viele Frauen Kinder bekamen, ohne es zu wollen. Und sie war geprägt von ihrem Umfeld, Schauspielerinnen, Künstlerinnen – die hatten alle keine Kinder. Sie hat wohl nie erlebt, dass Mutterschaft auch etwas Positives sein kann.

Oder war nicht in der Lage, das zu erkennen?

Das ist möglich. Eine ehemalige Geliebte und Schülerin von ihr sagte, Simone de Beauvoir habe es überhaupt nicht nachvollziehen können, dass sie freiwillig Mutter wurde.

Online-Lesung:

„Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten“, 19 Uhr, Anmeldungen an kontakt@boell-bremen.de

In Frankreich gehen Mütter sehr viel früher arbeiten, schon Babys werden fremd betreut und auch das Stillen hat einen anderen Stellenwert als in Deutschland. Meinen Sie, das hat mit de Beauvoir zu tun?

Das kann schon sein. Die französische Philosophin Elisabeth Badinter, die sehr von ihr beeinflusst war, hat ja vehement gegen den Muttermythos angeschrieben und behauptet, das sei alles anerzogen und Muttergefühle würde es gar nicht geben. Andererseits war in Frankreich auch der Differenzfeminismus immer sehr stark, der Weiblichkeit aufwerten wollte.

Mir scheint, dass de Beauvoir sehr hohe Erwartungen an Frauen gestellt hat und dass es immer darum ging, Männern nachzueifern.

Sie hatte damals keine andere Lösung, als dass Frauen sich von den Fesseln der Mutterschaft befreien sollten, und als Vorbilder sah sie Männer, ja. Aber sie hat auch sehr deutlich die Unterschiede zwischen Frauen benannt, dass nicht alle über die gleichen Mittel verfügen, sich selbst zu befreien. Und sie hatte Verständnis dafür, dass sich Frauen zu Komplizinnen ihrer eigenen Unterdrückung gemacht haben, dass es für viele in ihrer jeweiligen Situation leichter war, sich mit dem Unterdrücker gemein zu machen.