die woche in berlin
: die woche in berlin

Mal zwei gute Nachrichten: Seit Freitag fährt die U5 von Hönow – also vom Stadtrand – bis zum Hauptbahnhof durch. Die Ermittlungen gegen Florian Schmidt, den grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, wurden eingestellt. Und auch das ist nun offiziell: Franziska Giffey soll die Berliner SPD als Spitzenkandidatin in die Abgeordnetenhauswahl 2021 führen

Wann
zerbricht
die Harmonie?

Franziska Giffey ist die neue starke Frau der Berliner SPD

Die Sache mit den Clans konnte sie noch abbügeln. Die AG Migration der Berliner SPD hatte für den Landesparteitag den Antrag gestellt, auf das Wort Clan-Kriminalität künftig zu verzichten. Es betreibe das Werk des Racial Profiling. Die Antragskommission hatte für Annahme gestimmt. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die sich vehement für die Bekämpfung der Clan-Kriminalität einsetzt, wäre blamiert gewesen an dem Wochenende, an dem sie mit Frak­tionschef Raed Saleh zur neuen SPD-Doppelspitze gewählt werden wollte.

Am Sonntag nach der Wahl wurde der Antrag dann wieder von der Konsensliste genommen, und Franziska Giffey konnte strahlen. Erst recht, nachdem sie am Montag im Landesvorstand der Partei einstimmig zur Spitzenkandidatin der SPD für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Herbst nominiert wurde.

Dennoch war die Sache mit der Clan-Kriminalität nur der erste Vorgeschmack auf die, sagen wir mal, programmatischen Untiefen zwischen einer eher rechten Kandidatin und einer linken bis zuweilen anarchischen Basis. Anarchisch, gerne auch populistisch kann aber auch Giffeys Co-Chef Raed Saleh sein. Der hatte sich mit der Fraktionsspitze von Linken und Grünen zum Gespräch mit der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen getroffen.

Zwar haben Saleh und seine rechte Hand Torsten Schneider bei dem Treffen keine Zugeständnisse gemacht. Aber eine Debatte um Enteignung, hieß es danach in der Partei, könne Giffey gerade am wenigsten brauchen. Denn noch ist mehr als unklar, ob sie mit ihrem Versuch, die Plagiatsaffäre nach dem Ab­geben des Doktortitels einfach auszusitzen, durchkommen wird.

Als ob das alles nicht genug wäre, haben ihr die Genossinnen und Genossen noch einen eingeschenkt. Der Antrag auf einen Verzicht auf die Bebauung der Elisabethaue ging nämlich (diesmal unbemerkt) durch auf dem Parteitag. Dabei war Bauen eines der „fünf B“, wie Giffey ihre wichtigsten Forderungen bezeichnete.

Auf der Einstimmigkeit bei der Nominierung sollte sich die Bundesfamilienministerin also nicht ausruhen. Zwar wird sie, anfangs bestimmt nicht ohne Erfolg, in den kommenden Wochen versuchen, die Reihen zu schließen und den Fliehkräften der mitunter autistischen Landes-SPD Einhalt zu gebieten. Spätestens bei der Erstellung des Wahlprogramms werden die Diskussionen aber wieder an Fahrt aufnehmen. Da kann Neu-Landeschef Raed Saleh noch so gebetsmühlenartig wiederholen: „Es gibt nur einen Antrag, den der Berliner SPD.“

Das ist ebenso abgedroschen wie der Scherz „Wer bin ich und wenn ja, wie viele“. Aber auch ebenso wahr.

Uwe Rada

Die Sache mit der Clan-Kriminalität war nur der erste Vorgeschmack auf die, sagen wir mal, program­matischen Untiefen zwischen einer eher rechten Kandidatin und einer linken bis zuweilen anarchischen Basis

Uwe Rada über Franziska Giffey und Raed Saleh, das neue Spitzen-Duo der Berliner SPD

Es geht auch mit viel weniger Beton

Die neue U5: Klimafreundlich sind U-Bahnen nicht unbedingt

Fahr mal wieder U-Bahn“, heißt einer der schmissigen Songs aus dem Grips-Theater-Evergreen „Linie 1“, das Ensemble hat ihn erst vor ein paar Tagen noch mal in einer coronagerechten Freiluftversion aufgezeichnet und ins Netz gestellt. „Sparste Fernsehn, taz und FAZ“, heißt es darin, „Kino, Peepshow, Zoo und Knast.“ Zu der seit Freitag auf voller Streckenlänge fahrende U5 passt das vielleicht weniger als zur besungenen Kiezlinie, aber grundsätzlich gilt: Berlin liebt seine U-Bahn.

Da wirkt es leicht spaßverderberisch, wenn Autoren aus dem grün-umweltbewegten Spektrum ein Gutachten präsentieren, demzufolge ein weiterer Untergrundausbau unter dem Gesichtspunkt der Klimaneutralität gar keine gute Idee ist. Aber wenn die Verkehrswende ein Schritt zur Klimawende sein soll, sind ihre Argumente nicht von der Hand zu weisen. Allein der Zement, der in dicken U-Bahn-Wänden aus Beton steckt, setzt durch die für seine Herstellung benötigte Energie – aber auch durch direkte chemische Prozesse – gewaltige Mengen an Kohlendioxid frei.

Das ist ein gehöriger Dämpfer für die inzwischen auch von Teilen der Grünen geforderten Linienverlängerungen. Regine Günther sollte die vorgelegten Zahlen unbedingt nachrechnen lassen und in ihr politisches Handeln einbeziehen, wenn sie ihrem Anspruch gerecht werden will, Verkehrs- und Klimaschutzsenatorin zu sein. Sonst könnte ihr das Thema im anstehenden Wahlkampf noch um die Ohren fliegen.

Was der Regierende Bürgermeister bei der U5-Eröffnung zu dem Gutachten sagte, zeigte einerseits, dass er es nicht gelesen hat. Andererseits verfängt erst mal sein Argument, da könne man ja gleich jegliche Bautätigkeit in der Stadt einstellen. Nur: Es sollte in Zeiten der vom Senat ausgerufenen Klimanotlage selbstverständlich sein, den CO2-Fußabdruck von Großprojekten zu prüfen. Und wenn es dann mit der Straßenbahn deutlich klimafreundlichere Alternativen gibt, müsste die Entscheidung leicht fallen. Im Übrigen haben die Ausbau-Ideen deshalb so schlechte Karten, weil sie in Stadtrandlage nicht massive Fahrgastzahlen generieren können.

Apropos Bautätigkeit: Bei dem auf dem ehemaligen Flughafen Tegel geplanten Schumacher-Quartier ist der Senat ja schon auf dem richtigen (Holz-)Weg. Es geht durchaus mit viel weniger Beton – wenn man denn will. Claudius Prößer

Kulturkampf? Nein, Diffamierung

Ermittlungen gegen grünen Baustadtrat Schmidt eingestellt

Etwas bleibt immer hängen – das weiß jeder Mensch, der sich ein bisschen mit Propaganda auskennt. So funktioniert ja auch die Politik der Neuen Rechten. Was machen also PolitikerInnen, wenn sie auf einem sinkenden Schiff sitzen, etwa weil ihre Lieblingslobbyisten keinen Stich mehr machen? Sie versuchen alles, um politische GegnerInnen zu diskreditieren, gern als RechtsbrecherInnen. Deswegen sei hier noch mal mitgeteilt: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Friedrichshain-Kreuzbergs grünen Baustadtrat Florian Schmidt eingestellt. Das wurde am Dienstag bekannt.

Schmidt war von mehreren PolitikerInnen der Opposition angezeigt worden, der Vorwurf: „Haushaltsuntreue“. Zudem hatte ihm der Landesrechnungshof „pflichtwidriges Ausüben von Vorkaufsrechten“ attestiert. Es geht in allen Fällen um die Genossenschaft „Diese“, zugunsten deren der Bezirk das Vorkaufsrecht für mehrere Häuser im Bezirk gezogen hatte. Damit wurde verhindert, dass private Investoren die Immobilien erwerben und möglicherweise teuer weiterverkaufen konnten. Es gibt laut Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte für die Vorwürfe der klagenden Oppositionellen; die Prüfergebnisse des Landesrechnungshofs würden keinen hinreichenden Tatverdacht begründen, teilte Schmidts Anwalt mit.

Nun ist nichts dagegen zu sagen, auch mithilfe des Rechtswegs Sachverhalte klären zu wollen. Fraglich ist allerdings, ob die Justiz nicht nur als Mittel zum Zweck missbraucht wird. Eine der klagenden Politikerinnen ist Anwältin; auf ihrer Webseite preist sie eine „AG Eigentum schützen“ an, die sich „für mehr Wertschätzung von Eigentum in Politik und Wirtschaft“ einsetzen soll. Schmidt hingegen sieht sich als Anwalt der MieterInnen, wobei Anwalt hier politisch zu verstehen ist. Es geht ihm darum, die Stadt für jene Menschen als bezahlbaren Lebensraum und -traum zu erhalten, die nicht das Geld für Eigentumswohnungen haben, was Schmidt in Konflikt mit jenen bringt, die vor allem nach kapitalistischen Verwertungsinteressen handeln.

Und er hat damit Erfolg im alternativen Bezirk. Etwa beim umfassenden Einsatz des Vorkaufsrechts für Häuser oder bei den revidierten Planungen für den Umbau des einstigen Postbankhochhauses samt Umfeld: Einst protestierte darauf die CG-Gruppe mit einem Riesenplakat gegen die angeblich investorenfeindlichen Pläne der rot-rot-grünen Landesregierung. Nun entstehen unter anderem mehrere hundert Wohnungen für einkommensschwache Menschen – in vornehmlich landeseigener Regie.

Prallen so unterschiedliche Positionen aufeinander, wird gerne von Kulturkampf gesprochen. In diesem Fall kann man es aber auch schlicht Versuch einer Diffamierung nennen. Und der wird fortgesetzt: Am Mittwoch forderten CDU- und FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus einen weiteren Untersuchungsausschuss, auch wenn dieser bis Ende der Legislatur nicht mal Zeit hat, sich einzuarbeiten. Der Ausschuss soll laut Unionsfraktionschef Burkard Dregger „die Cliquen-Wirtschaft von Teilen des Senats und des Grünen-Bezirksamts von Friedrichshain-Kreuzberg untersuchen. Dieser Immobilienskandal ist Beispiel rot-rot-grünen Machtmissbrauchs. Der Ausschuss wird aufdecken, wie und durch wen die Kalkulationen der Diese eG frisiert und manipuliert wurden.“ Der Sprachgebrauch macht klar, welche Hoffnung CDU und FDP antreiben: Irgendwas wird hängen bleiben. Bert Schulz