Den Hochhäusern Paroli bieten

KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM Im Park am Gleisdreieck präsentieren sich 23 Künstler zwischen Stellwerk und stillgelegten Gleisen. Ihre Kunstwerke schieben sich in den Raum, wo Natur und Kultur sich überlagern

Die meisten Arbeiten legen es nicht darauf an, sich als Kunst zu exponieren

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Johann Aeschlimann, Kulturattaché der Schweizer Botschaft in Berlin, ist beeindruckt: Eine so große Fläche (17 Hektar) wie den Park am Gleisdreieck mitten in der Stadt der Bebauung zu entziehen, und das noch in diesen immobiliengierigen Zeiten, das findet er beachtlich. Aeschlimann nimmt an einem Presserundgang teil, der zu neuen Kunstwerken und ästhetischen Eingriffen in den Park führt.

Dass sich so viele Schweizer Künstler und die Stiftung Pro Helvetia an der Ausstellung „Gleisdreieck Berlin 2012“ auf dem von stillgelegten Gleisen und nicht mehr genutzten Bahngebäuden geprägten Gelände beteiligen, dafür hat der Kulturattaché eine augenzwinkernde Erklärung: Schließlich seien die Schweizer Weltmeister im Bahnfahren und das Kuratorenpaar Francine Eggs und Andreas Bitschin stamme aus einer Eisenbahnerfamilie.

Irrealer Glanz der Schienen

Schon vor sechs Jahren entdeckten Francine Eggs und Andreas Bitschin das Gelände, das damals noch kein öffentlicher Park war. Einige der jetzt teilnehmenden Künstler aus der Schweiz und aus Deutschland lernten die Wäldchen, die alte Bahntrassen überwuchern, kennen, als noch keine Asphaltwege hindurchführten; andere entschieden sich für die Mitarbeit, als die Bagger schon dabei waren, Terrassen zu planieren. Die Standorte der Arbeiten verschoben sich mehrfach – und damit auch die Art und Weise, wie sie sich auf den Park und seine Geschichte beziehen.

Viele der Schienenstränge, die zwischen den Yorkbrücken und dem Anhalter Bahnhof liefen, liegen seit dem Zweiten Weltkrieg brach. Dass die Geschichte der deutschen Eisenbahnen in dieser Zeit auch die der gut organisierten Deportationen ist, darauf bezieht sich Christine Berndt mit einer stillen Arbeit, für die man ein wenig vom Weg abweichen muss. Dort, wo das Moos die Schienen bedeckt, hat sie ein paar Meter freigelegt und mit Kupfer überzogen – ein irrealer Glanz, wie poliert, wie eben noch genutzt. Erst langsam entdeckt man einzelne Worte, die wie abgebrochene Gedanken auf den Schienen stehen: „wie krank“, „Der Engel schweigt“ oder „die Züge fallen“. Es sind Zitate aus Gedichten von Rose Ausländer oder Jakob von Hoddis, aber auch, wenn man das nicht weiß, sind sie als Hinweis auf die zerbrochenen Lebenslinien, die gewaltsam beendeten Biografien und die Verschleppung lesbar. Schon weil die Schienen nach kurzer Strecke des Glänzens wieder unter Gras und Moos abtauchen.

Poetische Verwandlung

Christine Berndt ist zwar die einzige Künstlerin, die von den 23 Teilnehmern so dezidiert auf die Geschichte eingeht; mit den Hinterlassenschaften der Bahn, den vorhandenen Architekturen und technischen Ruinen hingegen beschäftigen sich einige der Künstler. Susanne Muller aus der Schweiz nutzt eines der Gitter der vorläufigen Parkbegrenzung für eine widersprüchliche Botschaft: „vor ankommen wird gewarnt“ steht auf einem Schild neben einem blinkenden Warndreieck, durch das man wiederum auf Schienen blickt.

Eine sehr poetische Verwandlung hat ein altes Stellwerk erfahren, mit dem sich die Malerin Elisabeth Sonneck beschäftigt hat. Sein Ziegelmauerwerk ist eh schon von Graffitisprühern vielfach bearbeitet worden – über dieser anonymen Malerei sind nun in den Fensterhöhlen monochrome Farbflächen zu entdecken, teils hinter Gittern, die das Vorhandene interpretieren und weitertreiben, ohne es aber übertrumpfen zu wollen.

Wie die meisten Arbeiten es nicht darauf anlegen, sich als Kunst zu exponieren und ins Auge zu springen, sondern sich eher unauffällig zwischen die vielen Schichten schieben, mit denen sich Natur und Kultur hier überlagern. Nach der Kunst muss man ein bisschen suchen: zum Beispiel an der langen Ladestraße, die vom Tempelhofer Ufer aus in den Park führt. Deren Fassade mit Toren, Rampe, Lampen, Kabeln und Schildern behandelt Andreas Schmid wie einen Text, in dem er nun mit schmalen farbigen Streifen einige Stellen hervorhebt, den Rhythmus des Ablaufs betont und manchmal auf der Pflasterung des Hofes fortzeichnet. Eine Arbeit, die sich im Vorbeigehen erschließt.

Tatsächlich ist der Park selbst zu einer Passage geworden, einer ruhigen Verbindung zwischen zwei lauten und viel befahrenen Straßen, die akustisch nie die Gegenwart der Stadt vergessen lässt und doch mit fett blühenden Wiesen und Birkengebüsch auch suggeriert, sich weit weg von allem zu befinden. Teils kann man die Hochhäuser vom Potsdamer Platz sehen, und ihnen will eine Skulptur von Matthias Pabsch Paroli bieten, ein schmaler Turm aus Streifen in rötlichen, braunen und orangen Farben. Sein Titel ist programmatisch, als „nameless tower“ stellt er sich den Hochhäusern gegenüber, die allesamt für die Identität von Firmen stehen. Aber ins Auge fällt mehr seine Fragilität an diesem Standort, mitten in einem Feld aus schwarzen und grauen Steinen, und seine Farbigkeit, zumal wenn er von innen erleuchtet ist.

■ „Gleisdreieck Berlin 2012 – Kunst im öffentlichen Raum“, bis 23. September, am Gleisdreieck