Im Auge des Europäers

FOTO Die Ausstellung „Das koloniale Auge“ im Museum für Fotografie zeigt Porträts aus dem Indien des 19. Jahrhunderts. Gelagert zwischen Kunst und anthropometrischem Blick fordert sie den Betrachter heraus

Aber wie sieht sich der Kolonialist eigentlich selbst? Das zeigt nur ein Foto

VON MARCUS WOELLER

Die ersten Jahrzehnte der Fotografie – bereits um 1850 existieren in den indischen Großstädten mehrere Fotostudios – sind die große Zeit der Inszenierung. Nicht nur weil die Belichtung noch einige Sekunden dauerte und eine statische Kompositionen erforderte. Die in der Ausstellung „Das koloniale Auge“ im Museum für Fotografie gezeigten Fotos entstanden im Auftrag des britischen Empires, ab 1813 Besatzer auf dem indischen Subkontinent. Fotografie im Namen der ethnologischen und anthropologischen Forschung bedeutete darum mehr als die pittoreske Darstellung der Landschaft und Architektur, sie war die Inszenierung der Bevölkerung in Klischees von Exotik, Armut und Abgrenzung.

Noch am ehesten konnten sich die Kolonialherren mit der indischen Oberschicht im Kastensystem identifizieren. Den Maharadscha Tukojirao II. Holkar von Indore setzte das Fotostudio Bourne & Shepherd im Stil eines europäischen Herrscherporträts in Szene. Mit Säbel und Kopfputz ist der Maharadscha als Regent klar definiert. Der üppige Schmuck über dem traditionellen Gewand und die im Hintergrund platzierte Staffagefigur eines barfüßigen Dieners mit Turban und Wedel klassifizieren ihn auch als Archetypus eines exotischen Fremden.

Wie viel ist Inszenierung?

Offenbar musste die Aufnahme schnell gehen. Der Maharadscha hat sich keinesfalls die Zeit genommen, sich ins Fotostudio zu bemühen, stattdessen wurde er lässig vor einem eilig zusammengestellten Hintergrund mit zerknautschtem Vorhang und verrutschtem Teppich platziert. Auch der Diener schaut schon recht gelangweilt und mag seinem Herrn keine Luft mehr zu fächeln.

Wie viel Inszenierung durch den Fotografen steckt in solchen Bildern? Und wie viel Raum für Selbstinszenierung bleibt den Dargestellten? Diese Fragen müssen wir uns heute stellen, wenn wir die historischen Fotos von Brahmanen oder „Unberührbaren“ sehen, von Schlangenbeschwörern, Asketen und heiligen Männern, von Ureinwohnern abgelegener Inseln oder halbnackten „Tänzerinnen“, die aufreizend in die Kamera blinzeln. Und wir müssen uns fragen, unter welchen Umständen solche Aufnahmen, mit denen der britischen Öffentlichkeit ein vermeintlich wahrhaftiges Bild der Kronkolonie gezeichnet wurde, entstanden sind. Denn um das gewünschte Foto zu bekommen, wurde manchmal auch Gewalt angewendet oder großzügig gepanschter Alkohol ausgeschenkt, um die zu Porträtierenden gefügig zu machen.

Schwer zu deuten ist der Blick der jungen Frau vom in Abgeschiedenheit lebenden Volk der Toda, die es – in den Worten des Kurators Raffael Gadebusch – zum „Cover Girl“ des Katalogs gebracht hat.

Schaut sie selbstbewusst oder scheu in die Kamera? Sind ihre Augen feucht vor Furcht, oder flirtet sie mit dem Fotografen Albert Penn, der 1875 in die Nilgiri-Berge in Südindien reiste, um mal wieder die nie aus der Mode kommenden Bilder vom edlen Wilden zu schießen? Das Foto ist sorgsam komponiert, die Haare des Mädchens wurden zu glänzenden Locken eingedreht. In einem zweiten Bild sitzt die junge Frau mit dem gleichen Gesichtsausdruck neben ihrer stolzen und anmutigen Mutter und dem heroisch in die Ferne schauenden Vater.

Späte Erfassung

Die rund 300 Vintage-Abzüge stammen aus dem Ethnologischen Museum und galten lange als Kriegsverlust. Erst in den 90er Jahren sind sie wieder zurück nach Berlin gelangt und wurden nun wissenschaftlich erfasst. Dass sie im Museum für Fotografie gezeigt werden, stellt ihre zum Teil auch hohe künstlerische Qualität heraus. Die Fotos sind jedoch im Kontext ethnografischer Propaganda des Kolonialismus zu verstehen.

Und das gilt eben nicht nur für anthropometrische Aufnahmen entkleideter Männer und Frauen im Dienste der Rassentheorie des 19. Jahrhunderts oder den Frontal- und Profilporträts, die den Fotos für Verbrecherkarteien ähneln, sondern auch für die vermeintlich realistischen Folklore- oder Straßenszenen. Reich an Ambivalenzen fordert „Das koloniale Auge“ dazu auf, den eigenen Blick auf diese Bilder ständig zu überprüfen.

Aber wie sieht sich der Kolonialist eigentlich selbst? Das zeigt nur ein Foto: Wie in einem Suchbild verschwindet da ein ordentlich gescheitelter Europäer fast in einem wüsten Trophäenberg von Fellen und Dutzenden von Geweihen.

■ „Das koloniale Auge. Frühe Porträtfotografie in Indien“, bis 21. Oktober, Museum für Fotografie