Holzweg statt Ausweg

SCHWARZ-GELB Die Kombination aus öffentlichem Spardruck und den Wahlprogrammen von CDU/CSU und FDP könnte im Fall einer schwarz-gelben Koalition zur stärkeren Privatisierung sozialer Risiken führen

■ Die Wähler: 62,2 Millionen Deutsche sind am Sonntag zur Wahl des neuen Bundestags aufgerufen, darunter 3,5 Millionen ErstwählerInnen.

Die Bewerber: Um die Stimmen für den 17. Deutschen Bundestag bewerben sich 27 Parteien mit Landeslisten. Gewählt wird in 80.000 Wahllokalen. Meinungsforscher schließen nicht aus, dass die Wahlbeteiligung einen neuen Tiefststand erreicht. Vor vier Jahren lag sie bei bei einem Rekordtief von 77,7 Prozent.

Die Prognosen: In den Umfragen ist der Vorsprung von Union und FDP zusammengeschmolzen, so dass offen bleibt, ob sie oder möglicherweise wieder eine Koalition aus Union und SPD die neue Regierung bilden.

BERLIN taz | Kurz vor dem Wahlsonntag legte sich die Forschungsgruppe Wahlen des ZDF endgültig fest. Die aktuellen Umfragen zeigten eine „knappe, aber sichere Mehrheit für Schwarz-Gelb“, erklärte Matthias Jung, Chef des Instituts. Es gebe keine „Trendumkehr“ mehr.

Nicht nur für Gewerkschaftsvertreter wäre das eine schlechte Nachricht, wenn sie sich am Sonntag bewahrheitet. Es ist nämlich die besondere Kombination aus den Wahlprogrammen der Parteien und der Hochverschuldung nach der Finanzkrise, die erwarten lässt, dass sich mit einer Regierungskoalition aus Union und FDP die sozialen Lebenslagen in Deutschland stärker wandeln könnten, als man jetzt noch glaubt.

Die politischen Bedingungen sind historisch einmalig: Da ist die hohe Neuverschuldung, die im nächsten Jahr auf 86 Milliarden Euro anwächst und den Spielraum für weitere Reformen auf Jahre hinaus einengen wird; erst recht, wenn die Schuldenbremse vom Jahr 2016 an wirken soll.

Gleichzeitig steigt nach Meinung aller Experten durch den Abbau in der von Kurzarbeit geprägten exportorientierten Industrie die Arbeitslosenquote, auch wenn bislang noch niemand weiß, in welche Höhe. Der Präsident der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, rechnet mit dem Höchststand der Arbeitslosenquote erst für den Januar 2011.

Hinzu kommen die bekannten sozialen Baustellen, denn mit den Jahren wird die Bevölkerung weiter altern. Wie werden die wachsende Pflegebedürftigkeit und die zunehmenden Gesundheitskosten angemessen finanziert? Bislang ist noch geplant, dass die Krankenkassen die vorgesehenen milliardenschweren staatlichen Zuschüsse wieder zurückzahlen müssen. Die Frage ist nur: Von welchem Geld?

Für die durch die Wirtschaftskrise bedingte höhere Staatsverschuldung brauche der Staat künftig 15 bis 20 Milliarden Euro jährlich zusätzlich, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Das ist viel, und es stellt sich die Frage, wie sich der dadurch entstehende Druck am Ende in der Gesellschaft verteilt.

Dazu ein Blick in die Historie: Als die Rentenkassen seit Beginn der Neunzigerjahre durch die Wiedervereinigung stark belastet wurden, gab dies zusammen mit der demografischen Entwicklung den Anstoß zu den Rentenreformen, in deren Folge jetzt vielen Erwerbstätigen Altersarmut droht.

Als die hohen Löhne angeblich schuld waren an der Massenarbeitslosigkeit, galt dies als Rechtfertigung für Flexibilisierungen, sodass sich Niedriglöhne heute zum echten sozialen Problem entwickeln.

Im Zweifel treibt der öffentliche Spardruck die Privatisierung von sozialen Risiken voran

Die Union und erst recht die FDP sprechen sich in ihren Wahlprogrammen gegen die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen aus. Die FDP befürwortet in der Gesundheitsversorgung eine Aufspaltung in eine Grundversorgung für alle Bürger und in freiwillige Zusatzversicherungen. Damit ist der Lösungsweg klar: Im Zweifelsfall treibt der öffentliche Spardruck die Privatisierung von sozialen Risiken weiter voran.

Der Ausweg, Abgaben zu erhöhen, wird hingegen von einer schwarz-gelben Koalition gar nicht erst erwogen. Union und FDP haben ausgerechnet in Zeiten der öffentlichen Hochverschuldung Steuersenkungen angekündigt und damit weder Glaubwürdigkeit noch Führungsqualitäten bewiesen. Dabei gibt sich gerade die FDP gerne als Partei der Leistungsträger aus.

In einer Erhebung der Personalberatung LAB & Company unter 315 Führungskräften erklärten 63 Prozent der Befragten, eine Regierung aus Union und FDP zu bevorzugen. Laut einer Umfrage von Emnid wünschen sich aber nur 38 Prozent der BürgerInnen eine Koalition aus CDU/CSU und FDP. Die andern wissen, warum das ein Holzweg wäre. BARBARA DRIBBUSCH