Der Tag der Sühne kommt

Das Sondertribunal hat den Exdiktator angeklagt wegen des Massakers im Dorf Dudschail von 1982. Ihm droht die Todesstrafe

AUS BAGDAD INGA ROGG

Seitdem Saddam Hussein Ende 2003 gefangen genommen wurde, hat Mohammed Ihsan nur ein Ziel. Der Minister für Menschenrechte in der kurdischen Regionalregierung will den Exdiktator vor Gericht sehen – so schnell wie möglich.

Um das zu erreichen, ist er durchs Land gereist und hat in den mehr als 100 Massengräbern nach Opfern der Massaker an den Kurden gesucht. Darüber hinaus hat sein Ministerium 500 Aussagen von Überlebenden, Mitwissern und Tatbeteiligten aufgenommen und in den Archiven des früheren Regimes Dokumente aufgespürt. Auf Karten, CD-ROMs und Videos zusammengestellt, liest sich das wie eine lange Anklageschrift, die kaum Zweifel an der Identität jener lässt, die den Befehl zu den Massenmorden gaben.

Seit Sonntag ist Mohammed Ihsan seinem Ziel einen Schritt näher. Am symbolträchtigen 17. Juli, dem Jahrestag sowohl des Putschs der Baath-Partei 1968 wie der Machtübernahme von Saddam Hussein elf Jahre später, hat das Irakische Sondertribunal in einem ersten Punkt Anklage erhoben. Die Klageschrift betrifft die Hinrichtung von 150 schiitischen Männern und Jugendlichen in Dudschail nach einem Attentatsversuch auf Saddam im Juli 1982. Anschließend ließ das Regime 1.500 Bewohner der Kleinstadt nördlich von Bagdad festnehmen – unter ihnen Alte, Frauen und Kinder – und hunderte Häuser zerstören. Einige Verdächtige wurden sofort erschossen. Über 140 Männer und Jungen, auch Minderjährige, verhängte der Revolutionsgerichtshof Todesurteile.

Neben Saddam Hussein sind in dem Verfahren auch sein Halbbruder Barsan Ibrahim al-Tikriti, damals Vizechef des Geheimdienstes Mukhabarat, der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident und Vizechef des Revolutionären Kommandorats der Baath-Partei, Tarik Jassin Ramadan, und der damalige Vorsitzende des Revolutionsgerichtshofs, Awad Hamad Badr al-Bandar, angeklagt. Man habe Dudschail als Erstes gewählt, weil die Nachweise in diesem Fall durch offizielle Dokumente und Zeugenaussage relativ einfach seien, sagte Chefermittler Raid Juhi und fügte hinzu, der Termin für den Prozessauftakt werde in den nächsten Tagen bekannt gegeben. Als möglichen Termin nannte er Anfang September.

Nun haben die Anwälte der Angeklagten 45 Tage Zeit, um Rechtsmittel einzulegen. Vor allem aus dem Kreis der Verteidiger Saddams wird die Zuständigkeit des Gerichts ohnehin angezweifelt (siehe S. 3). Hier werde politische Siegerjustiz geübt, lautet ein Vorwurf.

Davor warnt auch der kurdische Menschenrechtsminister. „Wir dürfen den Prozess auf keinen Fall überstürzen“, sagte Mohammed Ihsan. Vertreter der Regierung in Bagdad haben dagegen auf einen schnellen Beginn gedrängt. Regierungschef Ibrahim Dschaafari ging sogar so weit, dem Tribunal Verschleppung vorzuwerfen. Die Kritiker beklagen auch amerikanische Einflussnahme. Zwar ist das Gericht ausschließlich mit Irakern besetzt, doch agiert im Hintergrund ein Stab vor allem amerikanischer Juristen.

In den nächsten Tagen will das Parlament ein Gesetz verabschieden, das die Rechtsgrundlage neu regelt. Dabei will die schiitische Mehrheit vor allem den US-Einfluss zurückzudrängen. Außerdem hofft sie, mit den Prozessen den Anhängern der Baath-Partei psychologisch das Rückgrat zu brechen und so den Aufständischen beizukommen. Neben dem verständlichen Wunsch der Opfer nach Gerechtigkeit ist aber auch das Bestreben der heutigen Regierung zu erkennen, aus den Verfahren Kapital für die für Dezember geplanten Wahlen zu schlagen. Die Opfer von Dudschail waren vor allem Anhänger von Dschaafaris Dawa-Partei.

Der kurdische Menschenrechtsminister vermutet hinter dem Drängen freilich noch ein weiteres Motiv. Sollten Saddam und seine drei Vertrauten verurteilt werden, droht ihnen die Todesstrafe. „Die Mehrheit der Iraker will, dass Saddam hingerichtet wird“, sagt Ihsan. Unter der Besatzungsverwaltung abgeschafft, wurde die Todesstrafe von der Interimsregierung wieder eingeführt. Mit der endgültigen Verfassung, über die im Oktober abgestimmt werden soll, werde sie wohl wieder abgeschafft. Damit bliebe denen, die den Exdespoten lieber heute als morgen am Galgen sähen, nicht viel Zeit. Unterschreiben müsste das Urteil gegebenenfalls der kurdische Präsident Dschalal Talabani.