Zum Ramadan gibt es Leichen auf der Straße

SYRIEN Regierungstruppen drängen Rebellen aus Teilen von Damaskus zurück. Opposition spricht von Hunderten Toten. Assads Geheimdienstchef erliegt nach Anschlag vom Mittwoch seinen Verletzungen

Propagandafahrt des Regimes zeigt verkohlte Autowracks, verwüstete Geschäfte, Tote auf den Straßen

DAMASKUS/BERLIN dapd/rtr/taz | Leichen, die niemand von der Straße holen will, liegen in der Innenstadt von Damaskus, während am Freitag der für Muslime heilige Fastenmonat Ramadan beginnt. Die syrische Hauptstadt bleibt schwer umkämpft, wie bereits die ganze Woche. Aktivisten berichten, sie hätten noch keine genauen Opferzahlen. Die staatliche Armee versuchte den ganzen Freitag über in einer Großoffensive, die von den Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) als „befreit“ deklarierten Straßenzüge zurückzugewinnen. Es gab die heftigsten jemals aus Damaskus gemeldeten Gefechte in der Innenstadt.

Die Armee meldete am Nachmittag, sie habe mehrere von Rebellen gehaltene Stadtviertel zurückerobert. Die Opposition bestätigte dies zum Teil. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte, Regierungstruppen des Regimes von Assad seien mit Panzern in das Stadtviertel Midan eingerückt.

Ein in Damaskus lebender Aktivist sagte der Nachrichtenagentur AP über Skype, Aufständische hätten einen taktischen Rückzug ausgeführt, um der Zivilbevölkerung nach fünftägigen heftigen Kämpfen einen weiteren Beschuss zu ersparen.

Auf einer von der Regierung für örtliche Journalisten organisierten Fahrt durch Midan sah ein AP-Reporter Szenen der Verwüstung, darunter verkohlte Autowracks, Geschäfte mit zersplitterten Scheiben und die Leichen von mindestens sechs jungen Männern. Die Straßen waren praktisch menschenleer. Nach Angaben des Fernsehens beschlagnahmten die Behörden große Mengen Waffen und Kommunikationsgerät. Landesweit hatte die syrische Opposition für den Freitag zu den größten Demonstrationen unter dem Motto „Der Sieg wird in Damaskus geschrieben“ aufgerufen, nachdem nach Oppositionsangaben der Donnerstag der blutigste Tag in Syrien seit Beginn des Aufstands vor sechzehn Monaten gewesen war, mit bis zu 310 Toten. Im Internet kursierten gestern Videos, in denen Massen von Menschen zu sehen sind, vor allem in Aleppo, die gegen das Regime von Baschar al-Assad auf die Straße gehen. Auf die Demonstranten wird geschossen.

Es gibt aber auch Autokorsos und spontane Feiern in ausgelassener Stimmung: Das staatliche Fernsehen hat den Tod von Geheimdienstchef Hischam Bechtjar gemeldet. Zwei Tage nach dem tödlichen Anschlag auf die syrische Militärführung am Mittwoch ist mit ihm ein weiteres Mitglied aus dem inneren Assad-Machtzirkel seinen Verletzungen erlegen. Kurz vor Bekanntgabe des Todes von Bechtjar berichtete das Fernsehen über die Trauerfeiern für die drei anderen Opfer des Selbstmordattentats vom Mittwoch. Darunter war der Verteidigungsminister und ein Schwager Assads.

Derweil weiten sich die Fluchtbewegungen aus Syrien in die Nachbarländer zu einer Massenflucht aus. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR am Freitag flüchteten in den vorangegangenen 48 Stunden bis zu 30.000 Syrer in den benachbarten Libanon.

Auch immer mehr hohe Offiziere der staatlichen Armee flüchten aus dem Land. Türkischen Angaben zufolge flüchteten allein in der Nacht zum Freitag ein Brigadegeneral, vier Oberste und 16 weitere Offiziere. Damit seien inzwischen 22 Generäle der syrischen Armee in die Türkei gekommen.

Heftige Kämpfe gab es auch um mehrere Grenzübergänge. Der Übergang zur Türkei, Bab al-Hawa, befand sich in der Hand der Aufständischen. Er wurde von Regierungstruppen beschossen. Rebellen kontrollierten auch den Grenzübergang Abu Kamal zum Irak. Er wurde von irakischer Seite geschlossen. Zivilisten plünderten die Grenzgebäude und setzten sie in Brand. Den ganzen Freitag über wurde um die Grenzübergänge gekämpft, die abwechselnd in Rebellen- und staatliche Hand fielen.

Das syrische Regime denkt trotz der Zuspitzung der Lage offiziell trotzdem nicht daran, abzudanken. Der russische Botschafter in Frankreich, Alexander Orlow, hatte spekuliert, dass Assad bereit sein könnte, eine geregelte Amtsaufgabe mit Hilfe der Russen zu planen. Er sagte dem französischen Sender RFI, das Kommuniqué der jüngsten Syrien-Konferenz in Genf vom 30. Juni spreche von einem Übergang zu einem demokratischeren System. „Dieses Schlussdokument wurde von Assad angenommen“, sagte Orlow. Damit habe Assad akzeptiert, in einem geordneten Verfahren abzutreten. Das syrische Informationsministerium erklärte in Reaktion, die Äußerungen entbehrten jeder Grundlage. JAZ