Auslieferung in ein Folterland

Der Vietnamesin Hang T. N. droht die Auslieferung in ihre Heimat und dort womöglich der Tod. Einst war sie Kronzeugin der deutschen Justiz, nun will man sie loswerden

„20 Jahre in einer vietnamesischen Haftanstalt zu überleben ist unmöglich“

BERLIN taz ■ Die deutsche Justiz will erstmals einem Auslieferungsersuchen Vietnams entsprechen. Die Vietnamesin Hang T. N. wird in Vietnam wegen Drogenhandels gesucht. Darauf steht in ihrem Herkunftsland die Todesstrafe. Wegen des Ersuchens sitzt die allein erziehende Mutter von drei Kindern seit elf Monaten in Auslieferungshaft. Sie bestreitet die Vorwürfe, und auch ihr Anwalt hat erhebliche Zweifel.

Herbert Hedrich sagt, dass die Beschuldigungen lediglich auf zwei fragwürdigen Behauptungen fußen: Zum einen hatte ein vietnamesischer Drogenhändler Hang T. N. als Mittäterin benannt. Der Mann wurde jedoch 1999 hingerichtet, sodass nicht mehr nachprüfbar ist, wie seine Aussage zustande kam. Das zweite Indiz lieferte der Telefonanschluss, den die Frau in Vietnam gemeinsam mit ihrer Großfamilie benutzt hatte. Von diesem Anschluss aus war mit der Familie des Drogenhändlers telefoniert worden. Wer den Anruf machte und worum es dabei ging, ist nicht bekannt.

Deutschland hat mit Vietnam kein Auslieferungsabkommen, und es besteht keine Pflicht, Hang T. N. in ihre Heimat zu schicken. Das Kammergericht in Berlin hat das Auslieferungsersuchen jedoch bereits für zulässig erklärt, nachdem sich Vietnam im Gegenzug verpflichtet hatte, ein eventuelles Todesurteil in eine 20-jährige Haftstrafe umzuwandeln.

Anwalt Hedrich jedoch hält es für fragwürdig, die Frau auszuliefern: „Zwanzig Jahre in einer vietnamesischen Haftanstalt zu überleben ist unmöglich. Man kommt dort durch Verhungern, Folter oder Vernachlässigung um.“ Niemand könne die Haftbedingungen kontrollieren, weil Haftbesuche in Vietnam nicht zulässig seien. Die deutsche Botschaft in Hanoi spricht ebenfalls von Gerichtsverhandlungen ohne rechtsstaatliche Standards und von „harten Haftbedingungen mit schweren Gefahren für die Gesundheit“. Selbst bei deutschen Inhaftierten könne man die Haftbedingungen nicht kontrollieren.

Dabei könnte die deutsche Justiz Hang T. N. durchaus dankbar sein. Schließlich hatte sie Ende der 90er-Jahre in Berlin als Kronzeugin gegen mehrere Bosse der Zigarettenmafia ausgesagt. Die ehemalige Zigarettenverkäuferin hatte sich entschlossen, Polizei und Justiz ihr Wissen über die Strukturen zu offenbaren. Unter anderem identifizierte sie vor Gericht die Stimme von Ha Ly, dem Chef der zweitgrößten Mafiabande „Quang Binh“. In einem von der Polizei abgehörten Telefonat hatte dieser einen Mord verabredet. Letztlich führte ihre Aussage dazu, dass er der Justiz nicht entfliehen konnte und sie Zeit hatte, ausführlich gegen ihn zu ermitteln. Er bekam „lebenslänglich“. Einem weiteren Mafiaboss brachte ihre Zeugenaussage eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten ein.

Anwalt Hedrich glaubt, dass Letztgenannter dafür sorgte, dass in Vietnam Anklage gegen Hang T. N. erhoben wurde. Nach seiner Überzeugung war der Mafiaboss mit dem Drogenhändler in Vietnam befreundet, der sie vor seinem Tod belastete. „Ich kann es nicht beweisen“, sagt Hedrich, „aber viel spricht dafür, dass ein ohnehin zum Tode Verurteilter hier einem Freund mit seiner Zeugenaussage einen letzten Gefallen tat.“

Aufgrund ihrer Aussage kam Hang T. N. in Berlin 1997/98 in ein Zeugenschutzprogramm der Polizei. Dabei allerdings machte sie einen folgenschweren Fehler: Sie entfernte sich eigenmächtig aus diesem Programm und fuhr 1998 nach Vietnam, um sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und ihre Kinder nach Deutschland zu holen. Mit ihrem Anwalt hielt sie zwar Kontakt und reiste auch pünktlich zu einer Gerichtsverhandlung an, um als Zeugin auszusagen, doch damit machte sie sich angreifbar.

Die Vietnamesin Thuy Nonnemann vom Berliner Migrationsbeirat fürchtet verhängnisvolle Folgen, wenn Deutschland dem Auslieferungsersuchen stattgeben sollte. „Dann wird kein Vietnamese mehr bereit sein, mit der Polizei gegen Zigarettenhandel und organisierte Kriminalität zu kooperieren.“

Dieses Argument wiegt für den Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Michael Grunwald, nicht so schwer. „Das dortige Außenministerium sicherte zu, sie in der Haft vor nichtstaatlicher Verfolgung zu schützen. Und die Frau war während ihrer freiwilligen Ausreise in Vietnam keinerlei Repressalien ausgesetzt.“

Die letzte Entscheidung über die Auslieferung liegt bei Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) oder ihrem Amtsnachfolger. Dort, so heißt es, liege der Fall noch nicht zur Entscheidung vor. Doch es gibt noch eine andere Hoffnung: Familienministerin Ulla Schmidt (SPD) kündigte an, sie werde sich falls nötig für die Frau einsetzen. Zurzeit ist das aber noch nicht möglich, da der Anwalt noch eine Verfassungsklage gegen die Auslieferung angestrengt hat. Nach seiner Meinung dürfe eine allein erziehende Mutter von drei Kindern nicht ausgeliefert werden. Außerdem seien die von Vietnam vorgelegten Dokumente über die angeblichen Vergehen Hang T. N.s sehr zweifelhaft. Im Familienministerium hieß es, man könne sich erst mit dem Fall beschäftigen, wenn er von der Justiz entschieden sei. MARINA MAI