Ausgangssperren im Norden: Jetzt gibt es Stubenarrest

Am heutigen Mittwoch soll in Hamburg und vielen norddeutschen Städten und Gemeinden über eine nächtliche Ausgangssperre entschieden werden.

Zwei Polizisten gehen im Dunkeln nebeneinander her.

Hier ist alles ruhig: Po­li­zis­t:in­nen kontrollieren, ob nachts noch jemand unterwegs ist Foto: Robert Michael/dpa

HAMBURG taz | Die nächtliche Ausgangssperre kommt. In Bremerhaven ist sie aufgrund einer aktuellen Corona-Inzidenzzahl von über 250 schon da, in vielen niedersächsischen Kreisen tritt sie am Gründonnerstag in Kraft, in Hamburg wird ihre Verhängung diskutiert. Damit erreichen die pandemiebedingten Einschränkungen, die die dritte Corona-Welle brechen sollen, in den Nordländern eine neue Dimension.

In Bremerhaven trat die vom Magistrat am Montag beschlossene Ausgangssperre am Dienstag Punkt 0 Uhr in Kraft. Bis zum 18. April – und damit drei ganze Wochen – müssen die Bür­ge­r*in­nen jeweils zwischen 21 Uhr und 5 Uhr zu Hause bleiben. In der ersten Nacht gab es zunächst nur wenige stichprobenartige Kontrollen – die aber sollen in den kommenden Tagen zunehmen. „Man muss der Bevölkerung ja auch Gelegenheit geben, die Verordnung zur Kenntnis zu nehmen“, erläutert ein Bremerhavener Polizeisprecher das Vorgehen.

Auch in der Wesermarsch wurde am Montag für mehrere Gemeinden eine nächtliche Ausgangssperre erlassen, die bis zum 18. April gilt. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) hingegen lehnt Ausgangssperren weiter vehement ab und setzt damit ein Signal, dass kaum zur Akzeptanz der unpopulären Maßnahmen beiträgt. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagte der SPD-Politiker, wissenschaftliche Studien zeigten, dass derartige Maßnahmen kaum dazu beitrügen, die Infektionszahlen zu senken.

Vom 1. April an – kein Scherz – wird dann auch in der Region Hannover und diversen niedersächsischen Landkreisen das nächtliche Leben stillstehen. Bis zum 11. oder 12. April sollen die An­woh­ne­r*in­nen in der Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr ihre Wohnungen und Häuser nur mit einem „triftigen Grund“ verlassen dürfen.

Keine Ausnahmen für Lebenspartner

Diese Entscheidung sei „mit die schwerste meiner politischen Karriere gewesen“, betont der scheidende Regionspräsident Hauke Jagau. Er habe es sich nicht leicht gemacht. Konkrete Details der nächtlichen Sperrstunde will der SPD-Politiker am heutigen Mittwoch verkünden. In Hannover lag die Sieben-Tages-Inzidenz am Montag laut Landesgesundheitsamt bei über 144.

Andere niedersächsische Landkreise sind da schon weiter. Von Mittwoch an gelten für die Be­woh­ne­r*in­nen der Kreise Emsland und Cloppenburg nächtliche Ausgangssperren zwischen 21 Uhr und 5 Uhr. Im Kreis Peine trat die Ausgangssperre bereits in der Nacht zu Mittwoch in Kraft. In allen drei Landkreisen liegen bereits Allgemeinverfügungen vor, die die Beschränkungen und ihre Ausnahmen regeln.

Deren Inhalte sind fast identisch. Als „gewichtige Gründe“, die Ausgangssperre zu durchbrechen, gelten etwa eine „notwendige medizinische, psychosoziale oder veterinärmedizinische Behandlung, die Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit, der Besuch von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen und der Besuch naher Angehöriger, wenn diese von Behinderung betroffen oder pflegebedürftig sind“.

Andere Ausnahmen, wie sie bei früheren Ausgangssperren im süddeutschen Raum galten – etwa der Besuch des Lebenspartners oder der Partnerin – finden sich in den Ausnahmeregelungen nicht. Kri­ti­ke­r*in­nen befürchten, dass die nächtlichen Ausgangssperren zunehmend zu Übernachtungsbesuchen führen könnten, was nicht im Sinne der Pandemie-Eindämmung sei.

Unklar ist auch, wie die neuen Regeln kontrolliert werden sollen. „Im Falle einer Kontrolle sind die genannten Ausnahmegründe glaubhaft zu machen“ und gegebenenfalls „durch geeignete Dokumente zu belegen“, heißt es in den Verfügungen.

Schleswig-Holstein diskutiert nicht mit

Damit bleibt der Polizei ein großer Ermessensspielraum, welche Nachtfahrt sie etwa mit einem deftigen Ordnungsgeld belegt und welche nicht. Konflikte sind programmiert. „Wir werden diese Sperren durchsetzen, aber das wird nicht immer friedvoll ablaufen, vielleicht kommt es zu zahlreichen Ingewahrsamnahmen“, blickt der Hamburger Chef der Gewerkschaft der Polizei, Horst Niens, sorgenvoll in die Zukunft.

In Schleswig-Holstein, wo die Inzidenzzahlen relativ gering ausfallen, ist nächtlicher Stubenarrest derzeit noch kein ernsthaftes Thema. In Hamburg, wo die Inzidenz auf über 150 geklettert ist, wird hingegen zwischen den Koalitionspartnern derzeit über die Verhängung einer nächtlichen Ausgangssperre heftig diskutiert.

Horst Niems, Gewerkschaft der Polizei

„Wir werden diese Sperren durchsetzen, aber das wird nicht immer friedvoll ablaufen“

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist dafür, beim grünen Koalitionspartner aber gibt es noch Widerstand. Die Entscheidung wird am heutigen Mittwoch erwartet, Beschränkungen könnten dann schon am Karfreitag in Kraft treten und die eine oder andere Osterplanung komplett über den Haufen werfen.

Auch andere Städte zögern noch. In Osnabrück ist nach Angaben eines Verwaltungs-Sprechers noch nicht klar, wie dort die niedersächsischen Vorgaben für eine Ausgangssperre umgesetzt werden. „Wir sind mit dem Land in Kontakt, weil wir das rechtssicher haben wollen“, erklärt ein Sprecher der Stadt.

Im Landkreis Gifhorn mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von derzeit 180 kündigte der Krisenstab für den heutigen Mittwoch die Entscheidung über eine Ausgangssperre an. „Die Ausgangssperre ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte“, betont CDU-Landrat Andreas Ebel. „Genau aus diesem Grund muss eine Entscheidung auf einer sorgfältig erstellten und aussagekräftigen Prognose beruhen.“

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