Drogenpolitik im Hanfmobil

Seit Mai ist Steffen Geyer auf „Cannabiskultour“ und zuckelt mit seinem grasgrünen Hanfmobil und seiner Hündin Laila durch Deutschland – im Namen der Dreieinigkeit von Cannabis als Nutzpflanze, Arznei- und Genussmittel. Ganz einfach ist das manchmal nicht

von Anna Hunger (Text) und Chris Grodotzki (Fotos)

Steffen Geyer ist Deutschlands führender Hanfaktivist. Er sitzt in der Fußgängerzone von Rottenburg und bestellt Kaffee. „Darf's ein Kännchen sein?“, fragt der Kellner. Steffen Geyer trägt orangefarbene Dreadlocks bis zu den Kniekehlen, ein Hanfblatt auf dem T-Shirt, er dreht sich Zigaretten, die aussehen wie kleine Joints, und hat seinen Cannabis-Bus mitten in der Rottenburger Fußgängerzone geparkt, um Werbung zu machen für eine liberale Drogenpolitik rund um die Hanfpflanze. Da wirkt „Kännchen Kaffee“ eher surreal.

Seit Anfang Mai und noch bis Mitte August tourt er mit seinem Cannabis-Bus durch Deutschland im Namen der Dreieinigkeit von Cannabis als Nutzpflanze, Arznei- und Genussmittel. Mit Aktionen, Demos und Infoständen will er auf Nöte von Cannabispatienten hinweisen, er setzt sich für die Legalisierung von Haschisch und Marihuana als Rauschmittel ein, für die Aufklärung zu einem mündigen Drogenkonsum und bietet Beratung bei problematischen Konsummustern an. Und: Er will der deutschen Hanfszene ihr politisches Potenzial vor Augen führen. „Wer nicht auf die Straße geht, erreicht ja auch nichts.“

Hanfklamotten: im Sommer schön kühl und absolut bio

Steffen Geyer ist 33 Jahre alt, ein kluger Typ. In seinem Bus wird nicht Kampfkiffen veranstaltet, sondern Drogenpolitik gemacht. Seit zehn Jahren ist er Cannabisaktivist, sitzt in Talkshows, gibt Interviews, ist Ansprechpartner für interessierte Bundestagsabgeordnete, hat das drogenpolitische Programm der Piratenpartei mitgestaltet, berät akut oder prophylaktisch Kiffer, die in Polizeikontrollen geraten, und predigt, dass die Kriminalisierung von Cannabis nur meist jungen Menschen wegen vergleichsweise kleiner Vergehen die Zukunft versaut. „Jeder Mensch hat die Pflicht, die Welt etwas besser zu machen“, sagt er, steckt eine Riesentüte auf die Busantenne und heftet ein Plakat an die Beifahrertür: „Freiheit statt Angst, das muss auch für Kiffer gelten!!!“

Eigentlich hätte die Mini-Versammlung auf dem Rottenburger Marktplatz schon um halb sechs anfangen sollen, aber bis dahin ist gerade mal einer da. Stefan. Er ist 26, ein großer, schlaksiger Typ, der erzählt, dass Hanf ein total vielseitiger Rohstoff sei, absolut bio, außerdem stabil – siehe all die welthistorisch relevanten Segel und Schiffstaue von Marco Polo oder Christoph Columbus. Er habe da ein T-Shirt an aus Hanf, sagt Stefan – ob man mal fühlen möchte –, das sei sein Lieblingsshirt, angenehm im Sommer, weil weniger warm als Baumwolle. Stefan kommt aus der Anti-Atom-Bewegung, erzählt er. „Das klappt ja auch langsam, aber sicher.“ Warum also nicht die Cannabis-Legalisierung. „Die wird kommen, im nächsten Jahrzehnt.“ Im Hintergrund ruft ein Mann mit Fahrradhelm die Polizei.

Die kommt aber nicht. Dafür steht irgendwann das Ordnungsamt da, drei Beamte mit unsicherem Grinsen, weil sie nicht so genau wissen, wie sie mit dem Hanfmobil umgehen sollen. Es steht ja angemeldet da, macht keinen Müll, stinkt nicht und tut auch sonst nichts Beanstandenswertes. Also sind sie freundlich und packen ein Päckchen Hanfsamen für den Bürgermeister ein. Steffen Geyer sagt: „Die gibt's übrigens auch im Reformhaus.“ Rottenburg, sagt er, sei noch ganz am Anfang der Legalisierungs-Idee, ein bisschen „Oma-Stadt“, noch nicht bereit für Hanf als Medizin oder gar als Genussmittel, sondern eher Kandidat für Nutzhanf-Information.

Steffen Geyer kommt aus Suhl, der Waffenstadt, ist dort, in der DDR, aufgewachsen, in einer Waffenbauer-Familie. Bis zur Wende wollte er Tierpfleger werden – als er 18 war, ging er zur Bundeswehr, weil er fand, es sei nicht schlecht, schießen zu lernen, obwohl er eigentlich und grundsätzlich ein sehr friedliebender Mensch sei. Einmal, er war gerade auf dem Weg zurück in die Kaserne, stand er am Nürnberger Bahnhof, da kontrollierte ihn die Polizei und fand 4,9 Gramm Haschisch. Es folgten 21 Tage Knast, 200 Arbeitsstunden und 300 Mark Strafe. Unschön. Und irgendwie auch im Strafmaß der Sache nicht angemessen, fand Geyer.

Das war wohl die Initialzündung für eine beginnende Karriere. Steffen Geyer zog nach Berlin, mitten hinein in den Hanfhype der ausgehenden 90er. Er las Bücher und Zeitschriften übers Rauchen, Gras-Anbau, die Hanfpflanzen an sich. Er besuchte die Hanfparade, eine Hanflegalisierungs-Demonstration in Berlin, gehörte später zu deren Organisations-Team, und weil so viele Leute, die auch wollen, dass Cannabis legalisiert wird, ihm seitdem immer wieder schreiben, Berlin und die Parade seien so weit weg, hat er im vergangenen Jahr beschlossen, ein Stückchen Hanfparade zu den Leuten zu bringen.

Er kaufte der Feuerwehr Schwarzenbach an der Saale einen ziemlich fertigen Mannschaftswagen ab und lackierte ihn grasgrün. Steffen Geyer baute sich eine Arbeitsecke hinein, mit Stromgenerator für den Laptop und Schlafecke für sich und Laila, die achtjährige Hündin, von der Tierärzte denken, sie sei erst drei, weil sie so schönes Fell hat. Steffen Geyer schwört auf Hanffutter. Finanziert wird die dreimonatige Reise durch Spenden. 976,76 Euro hat er noch auf dem Konto. „Das reicht bis Sachsen-Anhalt.“

Medizin gegen Schmerzen, Ticks und Appetitlosigkeit

Die meisten Städte bringen nur wenig Begeisterung für Cannabis-Legalisierung aufn. In Walsrode wollte die Verwaltung ihm eine professionelle Reinigung der Innenstadt aufs Auge drücken, obwohl Steffen Geyer akribisch darauf bedacht ist, alles sauber zu hinterlassen. „Aktive Bekämpfung von Vorurteilen.“ Aus Augsburg erreichte ihn die Nachricht, seine Hündin dürfe nicht mit auf die Veranstaltung, weil Hunde dort als Waffen gelten. In München konnte er sich lange mit der Stadtverwaltung nicht auf eine Demoroute einigen, und in Achern standen plötzlich zwei Polizisten da und erklärten ihm recht rüde, er sei in Achern nicht erwünscht. „Aber Menschen haben Rechte“, sagt Steffen Geyer. Vor allem das der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, steht im Grundgesetz. Und wenn ihm das nicht gewährt wird, klagt er eben, als ehemaliger Jurastudent weiß er, wie das geht.

Ein Kerl mit schütterem Haar steht neben dem Bus. „Moment“, sagt Geyer und verschwindet halb im Inneren des Hanfmobils, um festzustellen, dass das Hanföl alle ist. Egal: „Hanföl “, sagt Geyer zu dem Mann. „Zwei Teelöffel in den Salat, und nach zwei Wochen bekommen die Haare wieder Farbe.“ Ob man hier vielleicht legal einen Joint abstauben könne, fragt ein anderer. „Ne“, sagt Steffen Geyer. „Ich fahre ja durch Deutschland. Und wer fährt, darf nicht kiffen.“ Steffen Geyer ist ein echtes Vorbild. Um kurz vor sechs kommt Melanie, eine Frau mit langem Rock und regenbogenfarbener Friedensfahne mit Hanfblatt drauf, sie sei Ergotherapeutin, sagt sie. Cannabis sei wunderbar für MS-Patienten und bei Tourette-Syndrom – weil es krampflösend wirke –, und sie erzählt von einem Klienten, der ohne Joint die Tochter nicht wickeln kann, weil er so starke Ticks hat. Gras hilft auch gegen Spastik, sagt sie, gegen Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit Chemo- und Strahlentherapie bei Krebserkrankungen und HIV-Medikation, chronischen neuropathischen Schmerzen und in der palliativen Behandlung von Krebs und Aids. Cannabis für den medizinischen Gebrauch gibt es schon, aber es wird aus Holland importiert, ist dreimal teurer als an der nächsten Straßenecke und muss langwierig beantragt werden.

Irgendwann in seiner Jugend hat Steffen Geyer angefangen zu kiffen. Die Eltern waren etwas hilflos, aber auf einem Familienfest kam Mama Geyer etwas beschwipst zu ihrem Sohn und sagte: „Ich will auch mal rauchen.“ Steffen Geyer sagte: „Mama, du bist betrunken. Kiffen und Alkohol vertragen sich nicht. Frag noch mal, wenn du nüchtern bist.“ Die Mama fragte. Und weil Tabak aller Wahrscheinlichkeit nach Krebs verursacht, besorgte er einen Vaporizer, einen Zerstäuber, lud zu diesem Spektakel zwei Freunde ein und ließ die Mama inhalieren. „Kurz drauf hatte meine Mutter den ersten Fressflash ihres Lebens.“ Es gab Schnittchen. Bergeweise. Ab da musste Steffen Geyer zum Kiffen nicht mehr mit dem Hund raus.

Die Frau im Café in der Rottenburger Fußgängerzone giftet immer noch: „So was in unserer Fußgängerzone! Der soll abhauen!“ Steffen Geyer ist das egal. Passiert andauernd. Er treffe jeden zweiten Tag mindestens eine Person, die ihm von einer schlimmen Drogenkarriere erzählt und davon, wie der- oder diejenige letztlich zu Jesus gefunden hat. Jeder Dritte erzähle, dass er jemanden kennt, der heroinabhängig ist, weil er früher mal gekifft hat. Jeder Zweieinhalbte gifte ihn an, er würde Kinder drogensüchtig machen. Steffen Geyer sagt dann Dinge wie: „Dass Cannabis eine Einstiegsdroge ist, ist ein Märchen.“ Oder: „Ich setze mich für eine drogenmündige Gesellschaft ein.“ Oder: „Cannabis ist ein Genussmittel, und Genussmittel bergen Gefahren.“ Oder: „Cannabis ist eindeutig eine Droge, da muss man nicht diskutieren. Aber es wird nicht besser, wenn man es verbietet.“ Oder auch: „Würde man Cannabis legalisieren, wäre das eine großartige Steuereinnahmequelle für den Staat.“

Drogen brauchen gesellschaftliche Akzeptanz

Steffen Geyer ist kein Traumtänzer. Er weiß genau, dass man auch mit Gras abstürzen kann. So wie mit Alkohol. Mit dem Unterschied, dass es Alkohol an jeder Tankstelle gibt und man vom Entzug sterben kann. Bei Gras gibt es keinen körperlichen Entzug, man kann nicht dran sterben, sitzt aber unter Umständen irgendwann im Gefängnis, wenn man sich blöd genug anstellt. Fehlende Aufklärung und vor allem die Kriminalisierung sei das eigentliche Problem, sagt er. „Drogen“, sagt Steffen Geyer, „müssen zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz finden.“ Damit es gar nicht dazu kommt, dass Konsumenten über den Rand der Gesellschaft rutschen. „Drogenmündigkeit“, nennt er das.

Baden-Württemberg, mit Bayern das drogenrestriktivste Bundesland, war für Grasraucher bis zur Landtagswahl eine große Hoffnung, stand doch im grünen Wahlprogramm der Vorschlag eines deutschlandweit einmaligen Modellprojekts zur kontrollierten Abgabe von Haschisch und Marihuana, weil Gras eben schon immer ein grünes Thema war. Allerdings kein rotes, deshalb flog die Idee recht zügig aus dem Koalitionsvertrag. Geblieben sind die gewöhnlichen Forderungen zur Prävention und Restriktion. „Schade eigentlich“, sagt Steffen Geyer.

Kurz vor sieben. Steffen Geyer packt seinen Stand zusammen, verkündet pflichtgemäß, die Versammlung sei beendet, und stülpt die Riesentüte von der Busantenne. Weiter geht's nach Tübingen. Eine halbe Stunde Fahrtzeit hat er eingeplant, und noch eine halbe, falls ihn die Polizei kontrolliert. Aber eigentlich, sagt er, passiere das auf seiner Tour kaum.