Ein angegrauter Backenzahn

Das Magazin „Spiritus“ will jungen Künst­le­r:in­nen eine Plattform bieten. Auf Talente aufmerksam werden die beiden Gründer größtenteils über die sozialen Medien wie Instagram

Die beiden „Spiritus“-Gründer: Anton Krude (links) und Jonathan Joosten (rechts) Foto: André Wunstorf

Von Julia Hubernagel

Was macht den Menschen zur:m Künstler:in? Ist es der besondere Blick, das Visionäre? Oder sind es die eigenen Erkenntnisse, die es in Kunstwerke zu übersetzen gilt – Erfahrung also? Anton Krude und Jonathan Joosten wissen es auch nicht so genau. Krude ist 19, beschäftigt sich mit Malerei, Joosten, 18-jährig, fotografiert. Als Künstler bezeichnen sie sich selbst bewusst nicht. „Der Künstler:innen-Begriff ist sehr aufgeladen“, meint Krude. „Und wie soll man mit 18 oder 19 wissen, dass seine Arbeit Kunst ist?“

Ihre Unsicherheit rührt nicht von ungefähr. Ganz junge Kunst werde nicht ernst genommen und sei in der Kunstwelt kaum repräsentiert, meinen die beiden Berliner, die im letzten Jahr ihr Abitur abgelegt haben. Im Sommer gründeten Krude und Joosten deswegen Spiritus, ein Kunstmagazin ausschließlich für junge Kunstschaffende. Zehn „Künstler:innen“, wie Spiritus die Kreativen bewusst in Anführungszeichen nennt, zeigen darin ihre Arbeit.

Vor Kurzem ist die zweite Ausgabe erschienen. Wie ein Schü­le­r:in­nen­pro­jekt sieht das Magazin wahrlich nicht aus. Hochglanzcover, festes Papier, hochwertige Drucke: Spiritus ist professionell, hat aber den Charme einer Kunstmappe, da die Seiten von einem Gummiband zusammengehalten werden, sodass einzelne Bilder herausgetrennt werden können. Texte gibt es außer ausklappbaren Interviews mit den Kreativen und einer Prosastrecke überhaupt nicht. Die Arbeiten stehen für sich, das Alter spielt so eigentlich keine Rolle.

Bunte Collagen folgen auf Ölgemälde, Papierzeichnungen und Fotokunst. Einzelne Zeichnungen wirken etwas unfertig, einige Collagen berühren hingegen gerade durch ihre kindliche Offenheit. Richtig gut sind die Fotos von Nils Woitschach, die deutsche Vorgarten- und Tankstellentristesse dokumentarisch abbilden.

Das erste Heft sei eine Art Pandemie-Projekt gewesen, sagt Krude. „Unser Freundeskreis ist recht künstlerisch, und wir wollten etwas gestalten, etwas Haptisches machen.“ So sind die im ersten Heft vertretenen Künst­le­r:in­nen vor allem Bekannte der beiden, auch sie selbst sind mit Strecken vertreten. Vier Monate lang haben Krude und Joosten an Spiritus 1 gearbeitet. „Wir sind schon viele Jahre befreundet, es war gut zu sehen, dass wir auch zusammenarbeiten können“, sagt Joosten. Beide haben angefangen, Kunstgeschichte und Philosophie zu studieren, warten aber eigentlich auf andere Zusagen: Krude will in die Architektur, Joosten Visuelle Kommunikation studieren.

Den Startschuss für die Arbeit an Spiritus 2 gab schließlich die Volksbühne. Als die Möglichkeit aufkam, Arbeiten im LVX Pavillon neben dem Theater auszustellen, sagten beide sofort zu. Zwei Wochen lang konnten die Werke der zehn Künst­le­r:in­nen so bis vor Kurzem im öffentlichen Raum betrachtet werden; der Pavillon ist von außen einsehbar. Fotos, Collagen, selbst ein Kurzfilm spielte in Dauerschleife im Fenster. Die Ausrichtung war gut durchdacht: Die provokante Collage von Quirin Kasenbacher hängt dicht an der Glasscheibe, eine Holzarbeit mit antiklerikaler Botschaft von Rikus Roeling lehnt wie beiläufig an der Wand, selbst die Prosa von Lily Scholler hat es in den dreidimensionalen Raum geschafft; „jedes der Gebäude ein angegrauter Backenzahn“ steht in großen Lettern auf dem Boden.

Krude und Joosten sind nun erfahrener, die dritte Spiritus-Ausgabe ist bereits geplant und soll Ende September erscheinen. Finanziert haben sie die ersten Magazine selbst, mittlerweile unterstützen sie Sponsor:innen.

Junge Kreative zu finden sei durch Social Media sehr einfach, finden beide. „Es ist ein bisschen Fluch und Segen zugleich“, sagt Joosten. „Einerseits wird man im Internet überschwemmt von Sachen, andererseits kann man sich gerade über Instagram sehr einfach vernetzen.“ Eigene Kunst zu zeigen sei so zudem niedrigschwellig möglich. „Wir glauben, dass Alter für Kunst keine Rolle spielt“, so Krude. „Braucht man für Kunst Erfahrung? Weiß ich nicht. Braucht man fürs Malen, fürs Fotografieren oder Collagieren Erfahrung? Nein.“

Was man für Kunst jedoch braucht, ist ein Zugang. Gute Schulbildung und unterstützende Familien dürften gerade bei jungen Künst­le­r:in­nen entscheidend sein. Die meisten Namen der im Magazin vertretenen Kreativen klingen deutsch, sieben der zehn sind männlich. Wie hält es Spiritus mit Diversität? Krude und Joosten nicken, ihrer Privilegien seien sie sich bewusst. Sie hätten nicht den Anspruch, einen Querschnitt ihrer Generation zu zeigen. „Wir behaupten auch nicht, wir würden die nächsten Jungstars kennen, wir wollen einfach nur zeigen, was es so gibt“, sagt Krude. Bei der Auswahl zum zweiten Heft hätten sie nur nach der Qualität der Arbeiten geurteilt. „Das ist das Gute an Instagram: Wir wussten oft gar nicht, wo die Leute herkommen oder wie alt sie sind“, sagt Joosten. Ins Magazin geschafft haben es schließlich Kreative zwischen 17 und 20 – die meisten aus Berlin.

Ab wann ist junge Kunst eigentlich nicht mehr jung genug? „Darüber haben wir auch schon nachgedacht“, sagen die Magazingründer. „Spiritus soll mit uns langsam älter werden, bis die Aufmerksamkeit für die Kreativität von selbst kommt.“ Für die Akzeptanz junger Kunst zu kämpfen, dafür wäre dann die nächste Generation zuständig.

Spiritus-Magazin, erhältlich für 15 Euro unter www.spiritusmagazin.de und in ausgewählten Buchläden