Der Schriftsteller Ahmet Altan ist frei

Nach einem vierjährigen Martyrium im Knast für politische Gefangene in Silivri ist Ahmet Altan, einer der bekanntesten Schriftsteller und Journalisten der Türkei, am Mittwochabend aus dem Gefängnis entlassen worden. Das oberste Berufungsgericht in Ankara hob seine Gefängnisstrafe ohne öffentliche Begründung auf. Zuvor hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seine sofortige Freilassung gefordert. Zwei Stunden nach der Entscheidung in Ankara wurde Altan aus dem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Istanbul entlassen.

Der heute 71-jährige Ahmet Altan ist eine der schillerndsten Figuren der türkischen Intellektuellenszene. In den 1980er und 1990er Jahren schrieb er aufsehenerregende Kolumnen in verschiedenen großen Zeitungen des Landes, in denen er immer wieder gegen die Diskriminierung der Kurden und für eine offene Debatte über den Völkermord an den Arme­niern eintrat. Vor allem aber legte sich Altan mit dem damals übermächtigen Militär an.

Da war es nicht verwunderlich, dass Ahmet Altan als einer der Herausgeber der im November 2007 neu gegründeten Tageszeitung Taraf immer wieder gegen das Militär zu Felde zog. Das passte hervorragend zur damaligen Politik der Regierung Recep Tayyip Erdoğans, dessen wichtigstes Ziel es war, die Macht des Militärs zu brechen. Erdoğan warf einflussreichen Militärs Putschabsichten vor und inszenierte eine Kampagne, die letztlich dazu führte, dass etliche Militärs in den Knast wanderten. Altans Zeitung Taraf war an den angeblichen Enthüllungen gegen die Militärs führend beteiligt, nur dass sich später herausstellte, dass die sogenannten Beweise von Leuten des islamischen Gülen-Netzwerks, mit dem Erdoğan damals noch eng zusammenarbeitete, gefälscht worden waren.

Ahmet Altan wurde zu einem herausragenden Kritiker Erdoğans. Parallel kam es zu immer schärferen Auseinandersetzungen zwischen Erdoğan und den Gülenisten. Es war deshalb nicht so verwunderlich, dass Altan als einer der ersten prominenten Journalisten gleich nach dem Putschversuch, den Erdoğan der Gülen-Sekte anlastete, verhaftet wurde. Als vermeintlicher Putschunterstützer wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.

Als das oberste Berufungsgericht zum ersten Mal das Urteil wegen völligen Mangels an Beweisen aufhob, zeigte sich, wie sehr Erdoğan gegenüber Ahmet Altan auf Rache aus war. Er ließ ihn gleich wieder verhaften und in einem neuen Prozess zu zehn Jahren Haft verurteilen. Dieses Urteil wurde nun vom Berufsgericht erneut aufgehoben.

Jürgen Gottschlich, Istanbul