berliner szenen Sinnloses Warten

In der Werkstatt

„Nnniiiieck!“ Er starrte müde auf die lärmende Kreissäge. Weil in der Wilmersdorfer Sonderschule mal wieder Ferien waren, musste der Zivildienstleistende in einer kleinen Behindertenwerkstatt aushelfen. Wirklich zu tun gab es hier nichts. Er saß in einem stickigen Raum zwischen zwei armen Menschen, die man bei dem heißen Wetter gnadenlos dazu nötigte, Holzteile mit Sandpapier zu schmirgeln. Rudi, ein riesiger Bursche, wiegte seinen Oberkörper bedrohlich vor und zurück. „Wenn der wütend wird, musste uffpassen, der is stark!“, hatte man den neuen Mitarbeiter vorsorglich gewarnt. Auf der anderen Seite saß Rolli und starrte apathisch auf sein Stück Holz.

Auch dem Aushilfs-Zivi hatte man einen Fetzen Sandpapier in die ungeschickte Hand gedrückt. Der Arbeitstag hatte acht Stunden. Und der Uhrzeiger schien hier immer still zu stehen. Unter der Bank hatte der Gast seine grünen Suhrkamp-Taschenbücher versteckt. Sobald die Luft rein war, las er darin. Immer, wenn aber die anderen hereinkamen, um nach dem Rechten zu sehen, versteckte er die Texte schnell wieder und tat so, als schmirgele er gewissenhaft weiter.

Mindestens einmal am Tag flippte Rudi aus. Der Werkstattleiter und mehrere seiner Lehrlinge waren dann schnell zur Stelle und hielten den Wütenden gemeinsam fest, damit er niemanden beißen konnte. Auf die Idee, dass Rudi das einzig Sinnvolle tat, was man in diesem Raum tun konnte, schien niemand zu kommen.

Nachmittags musste man dann noch im Innenhof darauf warten, dass die offizielle Dienstzeit zu Ende ging. Jetzt schien der Uhrzeiger sogar zurückzugehen. Die daraus resultierenden Gespräche waren schlimm. Und es gab kein Entkommen. Für viele Monate. JAN SÜSELBECK