Andrei Ljubetzki, Kiefer­chirurg

Der 46-jährige Arzt soll den Präsidenten beleidigt haben und sitzt deshalb seit Anfang Mai im Gefängnis. Seine Frau musste ins Exil gehen. Ein Kollege erinnert sich an Ljubetzki

Am 4. Mai 2021 wird der 46-jährige Arzt Andrei Ljubetzki verhaftet. Er wird nach Paragraf 368 Strafgesetzbuch von Belarus wegen „Präsidentenbeleidigung“ angeklagt. Derzeit befindet er sich in Untersuchungshaft. Juristisch kann er bis zu Prozessbeginn zwei Monate in Haft bleiben.

Seine Frau meint, ein dreijähriger Hausarrest wäre noch das „beste“ Urteil. Es sei schwer vorstellbar, dass die Behörden ihn einfach wieder freilassen.

Ljubetzkis Ehefrau Natalja ist schon vor ihrem Mann in die Repressionswelle geraten. Als zur Schau gestellte Staatsfeindin in einem Propagandafilm im Fernsehen sah sie sich gezwungen, Belarus mit ihren vier Kindern zu verlassen. Die Zahnärztin hatte nach der Ausstrahlung des Films ihre Arbeit verloren. Ihr Chefarzt schlug eine Kündigung in „beiderseitigen Einverständnis“ vor. So seien eben die Spielregeln.

Andrei Ljubetzki selbst hatte angesichts der jüngsten Ereignisse im Land die Möglichkeit seiner Verhaftung nicht ausgeschlossen, sich aber geweigert, Belarus zu verlassen.

„Ich lebe nicht für Essen oder Wohnung. Ich möchte frei atmen, ich möchte, dass meine Kinder sich frei durch ihre Stadt bewegen können. Ich möchte wissen, dass wir geschützt sind. Und nicht, dass sie dich einfach entlassen oder verhaften können“, sagte Ljubetzki in einem Interview, kurz bevor sie ihn nach einer Hausdurchsuchung mitgenommen hatten. Solche Aussagen reichen in Belarus für einen Haftbefehl.

Andrei Ljubetzki ist einer der besten Kieferchirurgen für Kinder im Land. Spezialisten wie ihn kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Drei, vier Monate warteten Menschen auf einen OP-Termin bei ihm. 18 Jahre war er auf dem Gebiet der plastischen Gesichtschirurgie tätig. Viele Kinder mit angeborenen Anomalien haben dank seiner Hilfe die Chance auf ein glückliches Leben erhalten.

Ljubetzki selbst sagte zu seinen politischen und menschlichen Überzeugung: „Seit 1994 (Amtsantritt Lukaschenkos, Anm. d. Redaktion), vom ersten Tag an, war ich dagegen. Aber wie die Mehrheit der Belarussen haben wir geschwiegen. Obwohl ich meine Meinung nie verhehlt habe. Ich erinnere mich, dass während des Wahlkampfes 2010 ein Beamter aus dem Gesundheitsausschuss in unsere Klinik kam und uns zu einem Treffen mit einem Vertrauten Lukaschenkos einlud.

Ich fragte, warum er nur für einen Kandidaten werbe, wo es doch zehn gebe. Vielleicht wurde auch deshalb meine Bewerbung als Abteilungsleiter nicht genehmigt. Und 2016 wurde mein Antrag auf eine Reduzierung der Arbeitszeit nicht bewilligt. Wir erwarteten damals unser viertes Kind und ich wollte meine Frau mehr unterstützen.“

Im Oktober letzten Jahres tauchte in allen Medienberichten Bilder über die brutale Festnahme des Arztes während einer Protestdemonstration auf.

Ein Kollege, dessen Name hier nicht genannt werden kann, charakterisiert Ljubetzki so: „Wir sind unendlich stolz auf ihn. Andrei ist ein Mensch mit starkem Willen, mit Ehre und Gewissen. Ein Mensch, der immer geradeheraus sagt, was er denkt. Andrei hat nie um Hilfe gebeten, er hat das alles mit sich selber ausgemacht, und war außerdem immer noch für andere da.

Er ist ein sehr empathischer Mensch. Er hat einen guten Sinn für Humor. Und er schreibt sehr gute Gedichte. Wir haben schon gewitzelt, dass man Mut und Ehre in ‚Ljubetzki-Einheiten‘ messen könne.

Ach, und jetzt ist er im Gefängnis und ich im Exil. Wir wollten ihn überreden, das Land zu verlassen, aber er ist Belarusse durch und durch und konnte sich ein Leben außerhalb seines Landes nicht vorstellen.“

Weiter schreibt der ungenannte Kollege: „Das Einzige, was wir tun können, ist Briefe schreiben, Geld schicken und die Hoffnung nicht verlieren. Ich glaub daran, dass auch Andrei nicht verloren ist. Er hat uns immer wieder inspiriert und hat durch sein Beispiel gezeigt, dass man frei und ohne Angst leben kann.“

Janka Belarus

Aus dem Russischen: Gaby Coldewey