heute in hamburg
: „Viele junge Israelis ziehen nach Hamburg“

Online-Vorlesung „Jiddistik und Jüdische Sprachen“ im Rahmen der Vorlesungs­reihe „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“: 18.15 Uhr, Universität Hamburg, Anmeldung unter awr@uni-hamburg.de

Interview Lukas Door

taz: Frau Türk, wie facettenreich war und ist jüdisches Leben in Deutschland?

Lilian Türk:Also, wir hatten natürlich schon mal sehr viel mehr Facetten des jüdischen Lebens. Trotzdem sehe ich einige positive Entwicklungen. Vor allem, wenn man sieht, wie sich jüdische Gemeinden ausdifferenzieren und auch säkulare Positionen zu Wort kommen.

Wie viele jüdische Sprachen gibt es?

Neben Hebräisch und Jiddisch gibt es noch das Aramäische, das sich in der Antike herausbildete. Zur Zeit Jesu war das die Verkehrssprache. Sowohl hebräische Quelltexte wie auch das Aramäische hatten Einfluss auf die Herausbildung des Jiddischen. Diese wechselseitigen Einflüsse machen die Forschung auch so spannend. Dann gibt es noch Ladino, das Judenspanisch, und Judäo-Arabisch, also arabische Texte in hebräischer Schrift.

Wie wichtig sind diese Sprachen heute noch für jüdische Identität in Deutschland?

Das Jiddische spielt im jüdischen Leben keine große Rolle, das ist in anderen Ländern wie den USA, Kanada oder Argentinien ganz anders. Hier liegt das Interesse eher bei der nicht-jüdischen Seite, vor allem der Wissenschaft, aber auch bei Kulturschaffenden. Gerade Hamburg hat dahingehend sehr viel zu bieten: beispielsweise Gruppierungen, die jiddische Musik oder Gedichte vertonen. Das Hebräische spielt hingegen nach wie vor eine Rolle, auch das Neuhebräische. Das liegt an den vielen jungen israelischen Leuten, die nach Berlin und Hamburg ziehen und dort leben wollen.

Ist es ein Trend, dass junge jüdische Menschen an Orte wie Hamburg und Berlin zurückkehren?

Es ist auf jeden Fall Trend, dass man aus Israel nach Deutschland zurückkehrt. Jedoch ist das ein schwieriger Trend, vor allem die Ausreise junger Leute. Dadurch wird die Diversität in Israel leider geschwächt. Trotzdem ist es natürlich ihr gutes Recht, Israel zu verlassen. Ich habe auch bei meinen eigenen Reisen nach Israel erlebt, dass dort ein positives Verhältnis zu Deutschland vorherrscht. Das hat mich überrascht, muss ich sagen.

Foto: privat

Lilian Türk

41, ist Wissenschaftliche Koordinatorin am Maimonides Centre for Advanced Studies der Universität Hamburg.

Warum wird diese Vorlesungsreihe veranstaltet?

Ich bin nicht die Organisatorin, das ist unter anderem die Akademie der Weltreligionen. Wir feiern dieses Jahr 1.700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland. Als Institut für Jüdische Philosophie und Religion sind wir da natürlich mit dabei. Wir wollen diesen Jahrestag besonders publik machen und versuchen, verschiedene Facetten des jüdischen Lebens zu thematisieren. Jüdisches Leben ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Geschichte, trotzdem wissen die meisten Menschen zu wenig darüber.

Wie kann man* das ändern?

Vor allem in Schulen sollte es mehr Angebote geben, die jüdische Kultur kennenzulernen – nicht nur jüdische Riten, sondern eben auch säkulares jüdisches Leben, das Leben in Israel sowie die Auseinandersetzungen, die teils auch innerjüdisch geführt werden –gerade in Bezug auf jüdische Identität in Abgrenzung zur deutschen Identität. Sich mit der Geschichte und Kultur von Minderheiten zu befassen, gehört zum demokratischen Gemeinwesen.