Das saubere Dutzend

Mit einem großen Aufschlag will die EU den Weg zum Klimaziel 2030 und zur Klimaneutralität 2050 ebnen. Insgesamt werden 12 Gesetze und Verordnungen verschärft und neu verabschiedet. Eine Auswahl der wichtigsten Änderungen

VonBernhard Pötter

Schnellere Emissionssenkung

Das größte und wirksamste Instrument der EU im Klimaschutz soll noch effektiver werden: Der EU-Emissionshandel (ETS). Er reguliert bisher 41 Prozent aller Treibhausgase in der EU, die insgesamt etwa 4 Milliar­den Tonnen CO2 im Jahr ausstößt, Deutschland etwa 800 Millionen.

Wer in den etwa 11.000 Fabriken und Kraftwerken Europas Kohle, Gas oder Öl verbrennt, muss für jede ausgestoßene Tonne CO2 ein Zertifikat für derzeit etwa 51 Euro kaufen. Seit der Einführung 2005 sind die Emissionen in diesem Bereich um etwa 43 Prozent gesunken – deutlich mehr als die 24 Prozent, die die gesamte EU vorzuweisen hat.

Das soll nun noch schneller gehen. Anders als bei Maßnahmen im Verkehr oder bei Gebäuden sind hier schnell CO2-Reduzierungen durchzusetzen. Bisher senkt die EU die Obergrenze der ETS-Zertifikate jedes Jahr um 2,2 Prozent. Nach den Vorschlägen der Kommission soll sich dieses Tempo verdoppeln, der Faktor auf 4,2 Prozent steigen. Gleichzeitig sollen auf einen Schlag 117 Millionen Zertifikate gelöscht werden. In der Vergangenheit gab es zu viele, und niedrige Preise verhinderten ein Umschwenken auf saubere Energien. Durch kostenlose Zuteilung von handelbaren Zertifikaten verdienten laut der Umweltgruppe „Carbon Market Watch“ die großen Verschmutzer zwischen 2008 und 2019 ca. 50 Milliarden Euro zusätzlich. Für sie reicht auch die geplante Verschärfung im ETS nicht, um Europa auf das 1,5-Grad-Ziel zu bringen.

Trotzdem werden knappe Zertifikate die Preise steigen lassen und fossile Energien aus dem Markt drängen. Der deutsche Kohleausstieg, der von der „Kohlekommission“ für 2038 datiert wurde, könnte durch höhere Preise im ETS schon 2030 stattfinden.

Der kleine ETS

Hier ist Deutschland Vorbild und Problem. Was bei uns als „Emissionshandel“ für Verkehr und Gebäude seit Januar 2021 gilt, soll ab 2026 auch in der EU kommen: Obergrenzen und CO2-Preise für Benzin, Diesel, Heizöl und Gas.

Dieser „kleine Bruder“ des ETS sieht in Deutschland bis 2025 Preise bis 55 Euro pro Tonne CO2 vor. EU-weit könnte der Preis bis 2030 auf bis zu 200 Euro klettern. Aber das ist so unklar wie die Frage, ob, wann und wie der kleine mit dem großen ETS zusammengeführt wird.

Hier muss sich die EU dringend etwas einfallen lassen. Bei Gebäuden, die 40 Prozent des EU-Energieverbrauchs ausmachen, und beim Verkehr sind die Emissionen in den letzten Jahren gestiegen. Das müssten eigentlich die Mitgliedsstaaten im Rahmen der „Aufgabenteilung“ (ESR) selbst regeln. Nach den Projektionen der Kommission verfehlen die EU-Staaten aber die für sie gesetzten Klimaziele im ESR schon in den nächsten Jahren, wenn der jetzige Trend anhält.

Trotzdem ist die Idee mit dem „kleinen ETS“ durchaus umstritten: Weil hier eine deutsche Kommissionspräsidentin mit CDU-Parteibuch etwas für Europa durchsetzt, was auch in Deutschland vor allem die CDU will. Und auch, weil Frankreich die Rückkehr der „Gelbwesten“-Proteste gegen höhere Spritpreise fürchtet. Dem soll ein „Klimasozialfonds“ entgegenwirken, der das Geld aus dem „kleinen“ ETS – man rechnet mit 40 Milliarden Euro jährlich – zu einem Viertel an die Menschen zurückgibt. Die genaue Finanzierung ist noch unklar.

Die Kommission plant, 72 Milliarden aus EU-Töpfen und noch einmal so viel aus den EU-Ländern über sieben Jahre für arme Haushalte aufzuwenden, die höhere Preise beim Tanken und Heizen besonders treffen. Ein Teil davon soll allerdings bei der EU verbleiben, um Schulden aus der Coronakrise abzubauen.

Zoll für CO2

Die „Festung Europa“ soll es jetzt auch im Green Deal geben: Mit einem „CO2-Grenzausgleich“ (CBAM) will die EU-Kommission an den Außengrenzen Europas einen Aufschlag auf Produkte erheben, die ohne Rücksicht aufs Klima produziert werden.

Damit will Brüssel mehrere Probleme gleichzeitig lösen: die heimische Industrie schützen, die Abwanderung von europäischer Grundstoffindustrie und deren Arbeitsplätzen ins Ausland (Fachbegriff: „Carbon Leakage“, ein CO2-Leck) verhindern und eine erhöhte Klima­belastung durch dreckige Produktion außerhalb der EU unterbinden. Wer also in Zukunft Strom, Stahl, Zement, Chemieprodukte oder Düngemittel nach Europa einführt, wird CO2-Zertifikate kaufen müssen, die den Preisunterschied zwischen EU-Preisen und dem Ausland ausgleichen. Dafür will die EU eine eigene Behörde gründen. Experten fürchten schon ein Bürokratiemonster.

Ein solcher „Carbon Border Adjustment Mechanism“ hat aber darüber hinaus seine Tücken. Staaten wie China, Indien oder die Türkei protestieren schon, das sei ungerechtfertigter Protektionismus, der ihre billigeren Produkte aus Europa fernhalten solle. Um diesem Vorwurf entgegenzutreten, muss die EU den CBAM so ausgestalten, dass er mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO übereinstimmt. Und das bedeutet: EU-Unternehmen, die bislang freie Zuteilungen von ETS-Zertifikaten bekommen, um „Carbon Leakage“ zu vermeiden, dürften diese nicht mehr bekommen. Die Kommission überlegt deshalb auch, CBAM langsam einzuführen und die freien Zertifikate bis Mitte der 20er Jahre langsam auslaufen zu lassen. Dagegen wiederum machen die Industrieverbände Front, die beides wollen: CBAM und freie Zuteilung. Die kostenlosen Lizenzen seien „unter keinen Umständen verhandelbar“, verkündete etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI, ähnlich äußert sich die EU-weite Lobby „Business Europe“.

Für die EU-Kommission ist CBAM kein Protektionismus, sondern ein Anreiz für andere, ebenfalls ein System der CO2-Preise aufzubauen. Am Tag nach der Verkündung des EU-Programms erklärte China immerhin, man werde nun ebenfalls den Emissionshandel einführen.

Mehr Ökotechnik

Drei Viertel aller CO2-Emissionen in Europa kommen aus dem Energiesektor. Dort ist also der größte Hebel, um etwas zu verändern: Wind aus der Nordsee, Biomasse aus Osteuropa, Sonnenstrom und grüner Wasserstoff vom Mittelmeer, so könnte der neue grüne Energiemix in Europa aussehen.

Dafür hat die EU-Kommission den Anteil von Ökotechniken am gesamten Energieverbrauch noch einmal nach oben geschraubt. Bisher kommen nur etwa 15 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Das soll jetzt auf 40 Prozent klettern.

Ein ehrgeiziges Ziel, denn das hieße, vor allem die Stromproduktion aus Windparks und aus Solaranlagen in den nächsten Jahren massiv auszubauen. Auch in der Biomasse liegt europaweit großes Potenzial, bisher kommt aus ihr die Hälfte aller grünen Energie. Hier will die Kommission eine nachhaltige Nutzung verabschieden – eine vermehrte Nutzung von Wäldern für Biomasse soll nicht dazu führen, dass etwa die Ziele bei der Artenvielfalt leiden.

Insgesamt gilt: Die Technik für Wind und Solar ist bereit, das Geld ist da, aber oft gibt es bürokratische Hürden oder Widerstand der Bevölkerung.

Die EU-Regel hat allerdings einen Haken. Sie verpflichtet nur die EU als ganze, nicht etwa einzelne Länder auf bestimmte Quoten für Erneuerbare. Wenn EU-Staaten ihre Kapazitäten nicht ausbauen, kann Brüssel nur auf zwei Dinge hoffen: dass andere Staaten mehr machen. Oder dass die Energie­unternehmen in den betreffenden Ländern selbst merken, dass Erneuerbare inzwischen deutlich billiger sind als ihre klimaschädlichen Alternativen.

Vollbremsung für Verbrenner

Diese Meldung machte natürlich Schlagzeilen: EU verbietet ab 2035 den Verbrennungsmotor! In der Tat zieht das „Fit for 55“-Paket der EU-Kommission die Zügel für die Abgasregeln bei Pkw und kleinen Nutzfahrzeugen noch einmal kräftig an. Ihr CO2-Ausstoß muss sich nach den neuen Plänen bis 2030 gegenüber heute um 55 Prozent reduzieren. Und bis 2035 um satte 100 Prozent. Das heißt: Dann dürfen in Europa nur noch Neuwagen zugelassen werden, die keine Treibhausgase ausstoßen.

Das ist eine Vollbremsung für die bisherige Antriebstechnik. Schon bisher sorgten die CO2-Grenzwerte für die Autohersteller in Brüssel immer wieder für Ärger. Denn weil viele Hersteller – mit freundlicher Unterstützung vor allem auch der deutschen Regierung – sich über Jahrzehnte gegen striktere Regeln gewehrt haben, sind die Vorgaben jetzt drastisch. Bisher sollten die Motoren ihren CO2-Ausstoß bis 2030 nur um 37,5 Prozent mindern, jetzt springt diese Anstrengung auf minus 55 Prozent. Autobauer und ihre Dachverbände protestieren schon. Tatsächlich wird es wohl vor allem die Zulieferindustrie treffen und dort Jobs gefährden. Denn E-Autos haben einfachere Motoren und brauchen weniger Wartung als die ausgeklügelten Verbrennungsmotoren, mit denen vor allem die großen deutschen Marken wie BMW und Mercedes bisher ihr Geld verdienen.

Doch die Autohersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt. Schon bisher drohten empfindliche Geldbußen, wenn die CO2-Grenzwerte der EU gerissen werden. Und auf den wichtigen Exportmärkten der Zukunft wie China und Kalifornien drohen seit langem Quoten für emissionsfreie Fahrzeuge. „In den letzten Wochen haben etwa ein Dutzend Hersteller in der EU angekündigt, zwischen 2028 und 2035 auf emissionsfreie Produktion umzusteigen“, meinte Kommissionschefin von der Leyen.

Und die Kommission verspricht auch eine Neuregelung der Infrastruktur für alternative Treibstoffe: Die EU-Länder sollen an ihren Fernstraßen mindestens alle 60 Kilometer elektrische Schnellladesäulen errichten, alle 150 Kilometer Tankstellen für Wasserstoff.

CO2-Preise für Luft- und Seefahrt

Die EU will mit einem Skandal Schluss machen, der sich seit Jahrzehnten vor aller Augen abspielt: Während für Verbraucher und Industrie CO2-Preise und Regeln gelten, kann die internationale Luft- und Seefahrt fröhlich und praktisch unreglementiert das Klima ruinieren.

In der Luft und auf See ist bisher kaum jemand zuständig, aber damit ist es wohl vorbei. Schiffstransporte müssen für ihre Passagen jetzt CO2-Lizenzen erwerben – innerhalb der EU vollständig, wer von außen kommt oder rausfährt, immerhin für die Hälfte seines CO2-Ausstoßes. Ähnlich ist es bei den Flugzeugen. Die unterliegen bisher dem ETS, bekommen aber teilweise die Zertifikate umsonst. Das endet nun.

Auch soll in der EU endlich eine Kerosin­steuer erhoben werden. Für den internationalen Flugverkehr sollen die Airlines am Projekt Corsia teilnehmen, das die Airline-Lobby selbst aufbaut. Das aber ist ein extrem weiches Regime, das auch nur den Anstieg der Emissio­nen durch Ausgleichszahlungen auf null setzen will. Experten warnen schon lange davor, dass Corsia Greenwashing für die Luftfahrt­industrie betreibt. Dazu sollen neue Verordnungen sicherstellen, dass Schiffe in EU-Häfen sauberen Strom bekommen und ihre dreckigen Diesel nicht am Kai weiterlaufen lassen. Flughäfen werden verpflichtet, dem Kerosin immer mehr Biotreibstoffe beizumischen.

Ändern will die EU auch die Energiebesteuerung in den Mitgliedstaaten. Die bevorzugt Gas, Öl und Kohle und macht Strom teuer. Das müsse umgedreht werden, und Subventionen für Fossile (etwa die Vergünstigung von Diesel) sollen verschwinden. „Einen Preis auf CO2 und die Dekarbonisierung billiger machen“ will Kommissionsvize Frans Timmermans. Der Haken: Brüssel kann nur Mindestsätze fest­legen. Über konkrete Energiesteuern entscheiden die Länder unabhängig.

Weniger Energieverschwendung

Auch bei der Vorstellung des „Fit for 55“-Pakets tauchte er wieder auf, der „schlafende Riese Energieeffizienz“. Alle sind sich einig: Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, braucht es nicht nur mehr Öko-Energie, sondern weniger Energieverschwendung.

Bisher hat die EU ein Ziel von 32,5 Prozent bis 2030 ausgeschrieben – pro Produkteinheit sollen also 32,5 Prozent weniger Energie eingesetzt werden. Die Staaten sind allerdings auf dem Weg, dieses Ziel zu verfehlen. Deshalb erhöht die EU das Ziel auf 40 Prozent im Jahr 2030.

Die Berechnung ist kompliziert, denn es zählen auch Dinge wie der Umstieg auf E-Mobilität, das Design von Produkten oder die Sanierung von Gebäuden dazu. Eine Menge nachgeordneter EU-Vorschriften wie die Ecodesign-Richtlinie sind betroffen.

Die öffentliche Hand in der EU ist selbst ein wichtiger Akteur: 5 bis 10 Prozent des gesamten EU-Energiebedarfs kommen von Behörden, die öffentliche Hand gibt in Europa jedes Jahr 1,8 Billionen Euro für Energie aus, das sind 14 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Kontinents. Hier will die EU-Kommission Geld und Emissionen einsparen: Jedes Jahr sollen 3 Prozent aller öffentlichen Gebäude in der EU energetisch saniert werden. Das soll die Energierechnung senken, den CO2-Ausstoß mindern und gleichzeitig Jobs im Handwerk schaffen.

Drei Prozent Sanierungsrate sind sehr ehrgeizig: Für die deutschen Ziele der Klimaneutralität wünschen sich Experten eine Quotensteigerung auf knapp 2 Prozent – derzeit liegt sie bei etwa 1 Prozent.

Bäume als Müllschlucker

Die englische Abkürzung ist so kompliziert wie das Thema: LULUCF, Landnutzung und Wälder, ist in den Klimabilanzen immer heikel. Wie viel CO2 Wälder, Böden und Moore binden oder freigeben, ist so komplex, dass die Berechnungen aus den offiziellen Klimastatistiken herausgehalten werden.

Jetzt sollen diese natürlichen Systeme in die Rechnung der Kommission einfließen. Bis 2030 sollen die natürlichen „Senken“ jedes Jahr 310 Millionen Tonnen Klimagas speichern. Bisher liegt diese kostenlose Müllschlucker-Funktion der Natur bei etwa 250 Millionen Tonnen. Da muss sich in Wald und Flur also etwas tun. Vor allem, weil der gesamte Sektor Landwirtschaft und Forst schon 2035 klimaneutral sein soll – also ausgeglichene Emissionsbilanzen zwischen den Treibhausgasen aus Düngemitteln, Viehhaltung und industrieller Landwirtschaft einerseits und den Senken andererseits.

KlimaschützerInnen sind alarmiert. Sie fürchten, dass Waldländer wie Polen ihre Emissionen aus Kraftwerken und Autos über ihre Wälder schönrechnen. Aber die Kommission plant, dass sich die „Senkenfunktion“ des Waldes überall erhöhen muss. Bis 2050 will die EU 500 Millionen Tonnen jährlich binden – auch über Biomasse, die verfeuert wird, ihr CO2 abscheidet und speichert, oder über CO2-Waschung aus der Luft (nicht über das umstrittene CCS aus der Industrie).

Intern gibt die Kommission zu, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, denn Dürre, Schädlinge und die vermehrte Nachfrage nach Holz setzen den Wäldern schwer zu. Ob sie ihre bisherige Funktion als CO2-Speicher halten können, ist unklar. Auch deshalb plant die Kommission, drei Milliarden Bäume neu zu pflanzen.