heute in hamburg
: „Es muss umgesteuert werden“

Foto: Karin Desmarowitz

Cansu Özdemir32, ist Kofraktionsvorsitzende der Hamburger Linken und Direkt­kandidatin zur Bundestagswahl für den Bezirk Altona.

Interview Arne Matzanke

taz: Cansu Özdemir, gab es jemals eine bessere Zeit, Mil­lio­nä­r:in zu sein?

Cansu Özdemir: Es ist zumindest eine sehr gute Zeit, Mil­lio­nä­r:in und Mil­li­ar­dä­r:in zu sein. Gerade im Bezug auf die Steuerpolitik kommen sehr reiche Menschen heutzutage gut davon.

Die Linke will hohe Einkommen stärker besteuern. Darf es sich nicht mehr lohnen, reich zu sein?

Natürlich wird es sich auch weiterhin lohnen, reich zu sein. Allerdings waren Einkommen und Vermögen noch nie so ungleich verteilt wie heute. Wenn wir beispielsweise von einer Vermögensabgabe reden, die die Folgen der Coronapandemie abfedern soll, bewegt sich die steuerliche Belastung zwischen 0,7 und 1,5 Prozent für Spitzenverdiener:innen. In einem Zeitraum von 20 Jahren würde die Belastung für wohlhabendere Menschen minimal sein, während 310 Milliarden Euro für soziale Projekte zur Verfügung stünden.

Warum ist es schlecht, wenn die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgeht?

Für mich gibt es zwei wichtige Aspekte: Einerseits zeichnet sich eine starke Demokratie durch die Teilhabe aller Menschen aus. Teilhabe ist für Menschen mit geringem Einkommen ein Luxus. Da muss umgesteuert werden. Andererseits geht es um Generationengerechtigkeit. Häufig wird argumentiert, dass im Sinne der folgenden Generationen die Schulden getilgt werden müssten. Was bringt die Tilgung von Schulden aber, wenn wir zukünftigen Generationen eine sozial gespaltene und kaputtgesparte Gesellschaft hinterlassen? Gelder, die gegen soziale Ungleichheit und gegen den Klimawandel wirken, sind Zukunftsinvestitionen – an denen darf nicht gespart werden.

Gehen Menschen mit viel Geld dann nicht einfach ins Ausland?

Das ist Geschrei ohne Substanz. So stark wirken unsere Forderungen nicht. Die allermeisten leben gern hier – auch wenn sie mehr Abgaben haben. Und die Allerreichsten haben das Land steuermäßig sowieso schon verlassen. Da gibt es noch wichtige Aufgaben der Steuerfahndung.

Wie wollen Sie in Hamburg gegen soziale Ungleichheit vorgehen?

Wir fordern in der Bürgerschaft eine Antiarmutsstrategie. Auch in den letzten Jahren stieg die Armutsgefährdungsquote. Wir schlagen ein Bündel von Maßnahmen vor, um diese Quote zu senken: mehr Unterstützung, mehr Teilhabe, mehr Investitionen.

Vortrag „Mit Steuern umsteuern. Reichtum umverteilen“: 19.30 Uhr, United Scene Studio, Gaußstraße 190a