wortwechsel
: Ist grünes Wachstum möglich?

Sind wir nicht zu spät dran mit unseren Vorschlägen zur Klimarettung? Und selbst wenn wir es schaffen, was ist mit dem Rest der Welt? Diskussionsbeiträge von taz-Leser*innen

Mayschoss, Rheinland-Pfalz: Die Flut der Ahr ging bis an die Weinberge Foto: Murat Tueremis

„Grünes Wachstum möglich?“ Schwerpunkt Klimawandel und Klimakrise, verschiedene Artikel, taz im August 2021

Zu viel Ressourcenverbrauch

Danke taz, dieses Thema endlich prominent auf die Agenda zu setzen. Denn das ist schwierig, wer will schon Weltuntergangsszenarien hören. Die Argumentation geht unausgesprochen von den Bedingungen einer eher demokratisch verfassten und im relativen Frieden lebenden reichen Gesellschaft aus. Ist denn vorstellbar, dass die von den Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen beschworenen technischen Anstrengungen weltweit in der (geforderten) Kürze der Zeit realisiert werden können? Und in diesem Kontext ist es wohl auch notwendig, das von Frau Herrmann immer wieder vorgebrachte Argument, Geld sei kein Problem, der Staat schöpfe es „aus dem Nichts“, kritisch zu hinterfragen. Wenn das so einfach ist, dann kann ich nicht nachvollziehen, dass Staaten wie Niger oder Bangladesch ihre Wirtschaft nicht einfach durch Zahlung von Kurzarbeitergeld über die Krise retten. Zu kurz in der Debatte kommt weiterhin, dass neben der Energiefrage auch der Ressourcenverbrauch der Menschheit ihre Lebensgrundlagen zerstört. Schon heute verbrauchen wir Menschen (vor allem in den Industrieländern) fast das Doppelte dessen, was die Erde hergibt. Peter Scholz, Berlin

Kapitalismus klimaneutral?

Ausgangspunkt war die Frage: Kann der Kapitalismus klimaneutral? Beide Gesprächspartner bleiben im Wesentlichen auf die klimaneutrale Stromerzeugung fokussiert. Ressourcenverbrauch, Artensterben, zerstörerische Rohstoffproduktion und klimafeindliche nationale und internationale Einkommens- und Vermögensverteilung werden kaum erwähnt. Es wird zu sehr in der betriebswirtschaftlich orientierten Denkweise dieses Systems gedacht, etwa wenn Geschäftszweige schließen müssen, weil die Energiekosten zu hoch werden und dadurch Massenarbeitslosigkeit entsteht.

Ein rationales System verteilt die gesellschaftlich für notwendig gehaltene Arbeit „gerecht“. Die soziale Frage wird nicht dadurch gelöst, dass in einem komplizierten Prozess den Menschen ein „Energiegeld“ gezahlt wird oder billige Flüge für alle gewährt werden, sondern durch eine Beseitigung der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung.

Natürlich kann so ein Gespräch nicht umfassend sein, doch eine Einordnung hätte ich mir schon gewünscht. Angesichts der Komplexität ist klar, dass ein bisschen Bürgergeld hier und Emissionshandel da, nicht im Ansatz reichen wird. Die Politik muss ihre gestalterischen Möglichkeiten unverzüglich für das Ziel Klimaneutralität nutzen.

Uwe Spieckermann, Buchholz

Klimawandel kommt

Die Waldbrände haben nichts mit dem Klimawandel zu tun, die gibt es bereits seit Tausenden von Jahren. Nur, so wie es derzeit aussieht, können wir den Klimawandel nicht mehr bremsen. Die Maßnahmen, die man jetzt durchführen möchte, sind viel zu spät. Man hätte so vor 40 bis 50 Jahre damit beginnen müssen. Was nutzt es, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen sollte, was nicht der Fall sein wird, was hilft das weltweit. Absolut nichts. Deutschland ist ein winziger Fleck auf der Welt. Gerade wurde bekannt, dass die Nachfrage nach Kohle weltweit steigt. Ohne Kohle und Gas gehen bei uns bald die Lichter aus. Es wird kommen, dass wieder AKWs ans Netz gehen müssen.

Kurt Polacsek, Aarbergen

Ungerechtigkeit beseitigen

Das Überleben der Menschheit ist in den nächsten Jahrzehnten ernsthaft durch die Veränderung der Umwelt bedroht. Ursache dieser Bedrohung ist der technische Fortschritt in Verbindung mit materieller Belohnung und Bereicherung. Der technische Fortschritt hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der meisten Menschen geführt. Daher ist es verständlich, dass auch versucht wird, die entstandene Problemlage technisch zu lösen. Die materielle Bereicherung hat zu einer dramatischen Ungerechtigkeit in der Verteilung der Güter geführt, auch der Bildungsmöglichkeiten. Ohne die Beseitigung dieser Ungerechtigkeiten – innerhalb der Staaten und zwischenstaatlich – und ohne die Beseitigung des individuellen Wunsches nach mehr Haben, wird kein technischer Fortschritt eine Lösung bringen. Wir müssen also einerseits weltweit für eine Grundabsicherung des Individuums (Mindestlohn, bedingungsloses Grundeinkommen) sorgen und andererseits die Möglichkeit des Reichtums abschaffen.

Günther Stahl, Weilburg

Klima-Lockdown

Das Vermächtnis von Angela Merkel ist gekennzeichnet von einem Durchwurschteln, vor allem, weil in ihrer Partei die Bremser besonders „aktiv“ waren. Jetzt stellt sich heraus, dass selbst die Klimaforscher feststellen müssen, dass ihre Prognosen in Bezug auf den Wandel viel zu optimistisch waren, wenn jetzt ganze Erdteile verbrennen, wie in Sibirien, und der Golfstrom abreißt. Das Experiment „Erde“, das uns eine profitsüchtige Industrie aufgenötigt hat, zerstört die Existenzbedingungen weltweit.

Gleichzeitig wird deutlich: Eine „Demokratie“, die sich einem fast unbegrenzten Wachstum und dem Raubbau aller Ressourcen weltweit hingibt, ist eine ziemlich zahnlose Form einer Mitbestimmung, die sich nur am Konsum orientiert. Jede der kandidierenden Parteien, die alle auf erneuerbare Energien und grüne Technologien setzen, verharmlosen diese Klimakatastrophe nur. Wir brauchen eigentlich einen Klima-Lockdown mit noch härteren Maßnahmen, als wir die von der Pandemiebewältigung kennen.

Dietmar Rauter, Kronshagen