„Es geht um strukturelle Gewalt“

Die brandenburgische Frauenministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) über das Vorhaben der GleichstellungsministerInnenkonferenz, Femizide endlich als solche zu benennen und zu bekämpfen

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Ursula Nonnemacher, 64, ist Ärztin und grüne Gleichstellungsministerin in Brandenburg.

Interview Patricia Hecht

taz: Frau Nonnemacher, die GleichstellungsministerInnenkonferenz hat auf Ihren Antrag hin beschlossen, Femizide definieren, analysieren und verhindern zu wollen. Reicht es nicht, Mord als Mord zu betrachten?

Ursula Nonnemacher: Die Weltgesundheitsorganisation definiert Femizide als Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind. Es muss also ein spezifischer Kontext vorliegen: In den meisten Fällen geht den Delikten Bedrohung, Demütigung, Misshandlung oder sexuelle Gewalt voraus. All das wiederum fußt auf einem hierarchischen Geschlechterverhältnis. Nicht jede Tötung einer Frau ist ein Femizid – aber im beschriebenen Kontext eben schon. Femizide zu definieren ist ein sehr wichtiges, jahrzehntealtes Anliegen der Frauenbewegung. Wir sind froh, dass wir nun endlich erreicht haben, dass dieses Anliegen politisch aufgegriffen wird.

Neben Brandenburg waren sieben Länder Mitantragsteller. Und die anderen?

Unser Antrag wurde intensiv diskutiert und in einzelnen Teilen etwas verändert. Dem ersten Punkt haben alle Länder zugestimmt. Der besagt, dass wir mit großer Sorge die gleichbleibend hohe Quote von Tötungen und versuchten Tötungen zum Nachteil von Frauen zur Kenntnis nehmen.

Die übrigen Punkte besagen, dass eine Arbeitsgruppe eingesetzt wird und erfolgreiche Modelle aus Ländern wie Frankreich oder Spanien geprüft werden sollen. Da gab es eine Gegenstimme. Welche?

Die MinisterInnenkonferenz gilt als geschützter Raum. Details möchte ich deshalb nicht nach außen geben. Entscheidend ist, dass Bewegung in die Debatte kommt: Einige Tage vor unserer Konferenz hat sich schon die InnenministerInnenkonferenz mit der Bekämpfung von gezielt gegen Frauen gerichteten Straftaten beschäftigt und uns Rückenwind gegeben. Auch die IMK erachtet Begriffsdefinitionen und bessere Datenerfassung als erforderlich. Sie zielt sogar auf eine schuldangemessene Bestrafung von geschlechtsspezifischen Gewaltdelikten gegen Frauen. Nun ist abzuwarten, was die Beratungen der zuständigen FachministerInnenkonferenzen von Innen, Justiz und Gleichstellung ergeben.

Werden Frauenmorde bisher nicht schuldangemessen bestraft?

Sehr lange – und es passiert bis heute – ist in diesem Kontext davon gesprochen worden, dass ein Familiendrama oder eine Beziehungstat passiert ist. Das beschreibt die Taten als etwas Privates. Dass es sich um strukturelle Gewalt handelt, ist erst seit einigen Jahren in den Vordergrund getreten. In Deutschland versucht fast täglich ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen. Jeder dritte Versuch gelingt. Bei der Zumessung von Strafen werden die Beweggründe und Ziele des Täters berücksichtigt. Bisher strafverschärfend sind zum Beispiel rassistische, neuerdings auch antisemitische Gründe. Weitere menschenverachtende Gründe könnten laut den Innenministern geschlechtsspezifische Motive sein.

Welche Konsequenzen hätte das? Wäre die Strafe höher?

Je nach Einzelfall wäre dies wohl möglich.

Auch die Bundesregierung erkennt Femizide bisher nicht an. Wird sich das nun ändern?

Unsere Arbeitsgruppe „Gewaltschutz“ wird sich nun mit einer möglichen Definition befassen und diese dann mit der Innen- und JustizministerInnenkonferenz abstimmen. Ich kann nicht vorhersagen, ob wir nächstes Jahr eine allgemein akzeptierte Definition von Femiziden haben. Aber die Debatte hat stark an Fahrt aufgenommen. Allein die öffentliche Diskussion verstärkt die Prävention. Die Konferenzen im Herbst können einen weiteren Schub bringen.

Welche Bedeutung hat dabei die Istanbulkonvention gegen Gewalt gegen Frauen?

Die Konvention, deren Umsetzung mir sehr am Herzen liegt, will strukturelle geschlechtsspezifische Gewalt bekämpfen. Dazu gehört eine verpflichtende Datenerhebung, die Sensibilisierung bestimmter Berufsgruppen wie ÄrztInnenschaft, Polizei und Justiz, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Opferschutz und die Prüfung erschwerender Strafzumessung, wenn Partner oder Ex-Partner die Täter sind. Alle, die die Konvention ernst nehmen, werden das Anliegen teilen, Femizide endlich anzuerkennen – denn das ist die Grundlage, um besser dagegen vorgehen zu können.