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Zerren aus zwei Richtungen

Kinder sind beim Streit ums Sorgerecht oft die Leidtragenden. Zur geplanten Neuregelung des Sorgerechts für unverheiratete Paare kam es in dieser Legislaturperiode aber nicht

Formal gilt: Kindeswohl geht vor Kindeswillen Foto: Fred Hüning

Von Ansgar Warner

Früher war alles ganz einfach: Trennte sich ein Paar mit Kindern, blieben die Sprösslinge bei der Mutter. Alleinerziehende Väter gab es zwar, die waren dann aber verwitwet. Heutzutage sieht die Erziehungslandschaft völlig anders aus, diverse Reformen des Familien- und Sorgerechts, aber auch ein allgemeiner kultureller Wandel haben die Gleichberechtigung zumindest einen Schritt vorangebracht: rund 2,2 Millionen alleinerziehenden Müttern standen laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2018 immerhin 400.000 alleinerziehende Väter gegenüber.

Im selben Jahr wurden von deutschen Gerichten fast 40.000 Urteile in Sorgerechtsfällen verheirateter wie auch unverheirateter Elternpaare gefällt. Gewinner nach Punkten: nein, nicht die Mütter, sondern die Jugendämter. Die Mütter kommen auf Platz zwei, die Väter auf Platz drei. Denn wie in der Parabel vom Kaukasischen Kreidekreis wird im Trennungsstreit aus zwei Richtungen am Kind gezerrt – wobei der Kampf ums Kind die Sorge ums Kind oft zu überlagern droht.

Einen lachenden Dritten gibt es dabei meistens: Die juristischen Streitigkeiten zwischen Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht füllen die Kassen von Anwälten, Mediatoren und Psychotherapeuten. Kinder spielen bei der Auseinandersetzung aber keine rein passive Rolle. Sie müssen nämlich laut „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen“ beteiligt werden – dort heißt es: „Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen.“

Die Anhörungspflicht besteht schon im Kindergartenalter, genauer gesagt ab einem Alter von drei Jahren – so will es die geltende Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht. Wirklich erheblich wird das aber erst bei älteren Kindern, alleine schon deshalb, weil ihnen vom Gesetzgeber ab dem Alter von 14 Jahren ein eigenes Beschwerderecht zugebilligt wird.

Für Richterinnen und Richter am Familiengericht ist die Entscheidung keine einfache Sache – denn sie müssen nicht nur prüfen, wie ernsthaft Kinder und Jugendliche ihre Meinung äußern und inwieweit sie von einem der Elternteile dabei beeinflusst wurden. Die Juristen müssen am Ende auch eine Abwägung zwischen Kindeswillen und Kindeswohl treffen. Denn rein formal gilt die Regel: Kindeswohl schlägt Kindeswillen.

Das musste kürzlich wieder ein geschiedener Vater erfahren, der vor Gericht für seine drei Kinder das alleinige Sorgerecht erstreiten wollte, oder zumindest das gemeinsame Sorgerecht – und dafür vom Familiengericht über das Oberlandesgericht bis vor den Bundesgerichtshof zog. Dort wurde die Rechtsbeschwerde abgeschmettert, obwohl sich die Kinder selbst für eine Veränderung der Betreuungssituation stark gemacht hatten (AZ XII ZB 511/18, Beschluss vom 27. 11. 2019).

Die Richter vermuteten jedoch, dass die Kinder bei ihrer Meinungsäußerung stark vom Vater beeinflusst worden waren. Entscheidend erwies sich am Ende aber auch, dass der Vater in Sachen erzieherischer Kompetenzen schlechter bewertet wurde als die Mutter. So wurde ihm nicht zugetraut, den Kindern im gleichen Maß wie die Mutter „zu ihrer Entwicklung Freiräume zu gewähren und dabei eigene Bedürfnisse hintanzustellen“. Dem Wohl der Kinder, so das Fazit, entsprach deswegen die Ausübung des Sorgerechts durch die Mutter am besten.

Doch es kann auch umgekehrt gehen, wie eine Entscheidung des Kölner Oberlandesgerichts von 2019 zeigt. In diesem Fall wollten die Mutter und ihre Tochter die Aufhebung der gemeinsamen Sorge, der Vater dagegen bestand auf der Aufrechterhaltung des Kontaktes – was die Richter am Ende auch befürworteten. Hier wurde in der Urteilsbegründung sogar davon gesprochen, dass die Verantwortung für die Entscheidung eben nicht auf das Kind „abgewälzt“ werden dürfe.

Allerdings hatte sich die Tochter über den betrachteten Zeitraum auch unterschiedlich geäußert, so dass die Richter weder eine Beeinflussung durch die Eltern noch eine aktive Parteinahme ausschließen konnten. So hielt es das Gericht für das Beste, die gemeinsame Sorge auch weiterhin bestehen zu lassen (AZ 10 UF 18/19, Beschluss vom 28. 3. 2019).

Am besten für das Kindeswohl ist es natürlich, wenn der Familienstreit beigelegt wird, bevor die Sache vor dem Gericht landet. Das ist in der Praxis aber auch deswegen schwierig, weil verheiratete und unverheiratete Paare immer noch nicht gleichgestellt sind: Während Ehepartner automatisch das gemeinsame Sorgerecht ausüben, müssen unverheiratete Eltern dafür aktiv beim Jugendamt erscheinen und eine gemeinsame Erklärung abgeben.

Eine Neuregelung des Sorge- und Umgangsrechts sollte hier in dieser Legislaturperiode Erleichterung schaffen – das gemeinsame Sorgerecht wäre dann schon gültig, wenn die Mutter die Vaterschaft anerkannt hat. Doch der politische Wille, etwas für das Kindeswohl zu tun, war wohl nicht stark genug. Eine Rolle bei der Rolle rückwärts könnte das Dauerfeuer von Väter- wie auch Mütterlobbies gespielt haben. Während letztere durch die juristische Stärkung der Väter eine Zunahme von Konflikten befürchtete, ging den Vätern die Reform nicht weit genug, sie wollten komplett weg vom „mütterlichen Vorfahrtsrecht“.