Der Strom des Unbewussten

Ein Zapping durch Bremer Gemütslagen: Das Junge Theater befasst sich in der Energieleitzentrale am Speicher XI in zwei neuen Stücken der Reihe freiRäumeN mit der Stadt im Umbruch: „Oh Weser, Du Schicksalsstrom“ vs. „Vorsicht mit der Axt, Eugnen!“

Bremen taz ■ Knipp ist kein Fisch, sondern Grützwurst. Im „Hafencasino Trucker Stop“ hat man seit Donnerstag Schauspieler aus Berlin zu Gast, denen man Bremens Küche erklären muss. Die ist beim Ensemble „Ersatzverkehr / Urban Lies“ weniger bekannt als die aktuellen Bremer Probleme: Finanznot, Arbeitslosigkeit und Identitätskrise.

Das Verschwinden des Maritimen, der Niedergang der Häfen – „der Stadt wird das Herz heraus gerissen“, so drastisch formulieren es die vier Berliner Akteure. Das Verhältnis von Ich und Stadt sei gestört, Umbruch und Orientierungslosigkeit die Folge. Hinter dem Bühnentisch prangt gold auf rot der Titel des neuen Stückes: „Oh Weser, Du Schicksalsstrom“. Ein pathetischer Einfall, und vielerlei wird aufgeboten zu seiner Rechtfertigung.

Da wäre zum einen die Spielstätte: Die Energieleitzentrale (ELZ) gegenüber dem Speicher XI hat Kräne und Bauwerk vom Europahafen bis zum Holz- und Fabrikenhafen mit Strom versorgt – bis 1997 ein Schicksal namens Auftragslage das Aus brachte.

Da wäre zum anderen der Strom des bremischen Unbewussten, der stets mit der Weser floss und nun auf der ELZ-Bühne sprudeln darf. Er benennt nicht nur die gleichzeitige Angst vor Provinzialität und Kosmopolität, sondern wirft auch dringliche und verdrängte Fragen auf: „Warum finde ich was besseres als den Tod überall? Und warum nicht hier?“ Der Strom redet sich in hundert verschiedene Rollen hinein, die ihre Wünsche und Ängste artikulieren. Die vier Akteure tauschen permanent, spielen Namenraten auf der Bühne: Wer bin ich? Hat es was mit meiner Kindheit zu tun? Bin ich beliebt? Über die Stadtgrenzen hinaus? Fliegende Wechsel zu Anekdoten über „den einen Film, wo die Fischer alle Barsche aus dem Victoriasee fischen, während ihre Frauen auf den Strich gehen müssen. Es gibt gar keine andere Perspektive mehr als Fischerei und Prostitution.“ Und vor der Tür: arbeitslose Fischer und Huren am Hafen. So kann das Publikum wie beim Zappen auf der Couch von einer Randgruppe zur nächsten mitdenken.

Zu Beginn indes muss man noch viel laufen: wirr redende Schauspieler führen durch das trostlos kahle Vierstockwerklabyrinth, das später auf einem Teewagen als Miniatur in den Saal gerollt wird. Das ELZ-Gebäude aus Pappmaché.

Wie kein Zweiter beherrscht auch Lokal-Ikone Denis Fischer das Zapping. Von einem Alter Ego zum nächsten in null Sekunden. Sein Soloauftritt beschließt nicht nur den Theaterabend, sondern auch die Bremenkarriere des Alleinunterhalters, der sein Glück in Berlin versuchen wird. Wie in einem Best-Of fügen sich im neuen Programm „Vorsicht mit der Axt, Eugnen!“ Harald-Juhnke-Schnulzen an ausufernde Ansagen und anarchische Verweigerungshaltung an Räuberpistolen. Genial, wie er halbglamouröse Jugenderinnerungen heulend der Lächerlichkeit preisgibt. Vorher reibt er sich die Augen mit frischen Zwiebeln ein, die er dann verspeist. Das Zapping durch die eigenen Egos führt von schizoiden Interviews Fischer/Fischer zur fantasierten Erzählung eines Terroristen, der ein Starbucks-Café in die Luft jagt. Dann ist er der Vor-Ort-Reporter, der paralysiert beschreibt, wie alles abgesperrt ist. Eine Szene, die ihre Brisanz durch den medialen Wechsel von Täter zu Opfer gewinnt. Auf Bildschirm und Bühne sind Terrorpate und Berichterstatter Figuren eines formatierten Spiels.

Denn, so Lajos Talamonti, der bei beiden Produktionen Regie führt: „Je unterhaltsamer, desto legitimer ist die Selbstdarstellung.“ Hätten Sie’s gewusst?

Robert Best

heute und am 12., 13., 15. und 16. Juli, Energieleitzentrale beim Speicher XI, jeweils 20.00: „Oh Weser, Du Schicksalsstrom“ und 22.30: „Vorsicht mit der Axt, Eugnen!“ Tickets: www.schwankhalle.de oder 700 141