wortwechsel
: Die Zeit ist noch nicht reif für Gandhis Methoden?

Aus Verzweiflung griffen einige junge Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen zum „letzten Mittel“: Hungerstreik. Sehr mutig? Erpressung? Sinnlose Selbstverletzung? Der radikale Widerstand polarisiert

27 Tage haben sie gehungert. Hier die letzten beiden der Hunger­streikenden kurz vor Beendigung der Aktion am 25. 9. 21. Ihre Forderung: die Ausrufung des Klimanotstands Foto: Jörg Carstensen/dpa

„Protestaktion in Berlin: Der falsche Weg. Der Hungerstreik in Berlin ist ehrenwert, aber auch naiv und gefährlich. Scholz, Baerbock und Laschet werden sich nicht erpressen lassen“,

taz vom 21. 9. 21

Verzweiflung verkannt?

Die Autorin lässt sich dazu hinreißen, die jungen Menschen im Hungerstreik mit Kindern zu vergleichen, die nach einem Eis oder einem Lolli schreien und denen mensch nicht nachgeben dürfe, weil sie sonst in Zukunft immer lauter würden. Dieser Vergleich ist unwürdig. Er verkennt nicht nur die Verzweiflung der Aktiven, die in bereits Jahre dauerndem Einsatz alles unternommen haben, um politisch Verantwortliche zu konsequentem Klimaschutz zu bewegen. Dass die dabei gemachte Ohnmachtserfahrung fehlender Resonanz nun zu einem derart druckvollen Mittel wie einem Hungerstreik führt, darf nicht verwundern. Von Po­li­ti­ke­r*in­nen hätte ich mir einen umsichtigeren und klügeren Umgang mit diesem Ausdruck der Verzweiflung gewünscht. So verkennt der Artikel die Brisanz des Themas: Es geht um mehr als einen Lolli. Es geht – ganz real – um das Überleben künftiger Generationen. Das ernst zu nehmen und mit den Streikenden sofort zu reden, wäre deshalb kein Zeichen von Schwäche, sondern des Engagements und der inneren Stärke gewesen. Freilich unbequemer als business as usual. Es hätte ein neues Denken erfordert. Aber brauchen wir das für unseren Planeten nicht sowieso?

Heike Krause, Holle

Drastische Allegorie

Keine Partei hat ein Zukunftsprogramm für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad entwickelt. Es geht um das Überleben der ganzen Menschheit. Insofern ist der Hungerstreik der jungen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen nicht nur ein Akt der Verzweiflung, sondern eine tragischerweise äußerst passende drastische Allegorie und Simulation dessen, was Millionen Menschen in den nächsten Jahrzehnten erwartet, wenn die Politik nicht radikal umsteuert. Ob es nun richtig oder falsch ist, sich durch eine solche Aktion selber zu schädigen – es ist verständlich und mutig. Über den Vorschlag, humanere Methoden zu wählen, kann man nur müde lächeln. Was haben Aktionen wie Anketten, Sitzblockaden oder Demonstrationen in der Vergangenheit denn gebracht? Im schlechtesten Fall Rechtsstreite und Anklagen bis hin zur U-Haft (siehe Hambacher Forst), im besten Fall gar nichts. Was auch der Grund war, dass die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen vor dem Reichstag nun diese radikale Methode wählten. Guntrun Müller-Enßlin, Stadträtin, Stuttgart

Erpressung der Lobbys

Die Politik wird sich davon nicht erpressen lassen, meint die Autorin.

Natürlich nicht, nicht von ein paar halb Verhungerten. Um auf der politischen Bühne wirkungsvoll erpressen zu können, braucht es größeres Kaliber. Weiß die Auto-Lobby, die Energie-Lobby, die Pharma-Lobby, die Finanz-Lobby …

Werner Huth, Ascheberg

Und taz.de schreibt …

Wo wären wir ohne die Mutigen, die letztlich Wackersdorf verhindert, die DDR zu Fall gebracht, in der Prager Botschaft ausgeharrt und sich mit Schlauchbooten zwischen Walfänger und Wal geworfen haben? Alle naiv und gefährlich, aber in ihrer Radikalität und Konsequenz leider notwendig. Nichtimmernurmeckern

Die Herrschaftsrhetorik

Es ist keine Erpressung! Jedenfalls keine Erpressung im Sinne von § 253 StGB. Allenfalls emotionale Erpressung. Wer fälschlicherweise behauptet, Hungerstreik sei Erpressung, reproduziert konservative, rechte Law-and-Order-Propaganda, überdeckt Gewalt und Zwang der Regierenden und deren No-Future-Politik. Wertungen à la „jugendlich-naiv“ begleiten seit jeher junge Ak­ti­vis­t*in­nen und sind Diffamierungsstrategien und Herrschaftsrhetorik der Erwachsenen/Herrschenden. Die Hungerstreikenden sind übrigens alle … Erwachsene. Uranus

„Es wird euch leid tun“

Hungerstreik erinnert mich immer an Henry Slesar's Geschichte „Es wird euch leid tun, wenn ich tot bin.“ Dort sieht man schön, wie sinnlos es ist, sich selbst weh zu tun, um bei anderen etwas zu erreichen. Warum-denkt-keiner-nach?

@warum_denkt_keiner_nach? Wenn es nur sinnlos wäre … es ist auch eine sehr unangenehme Art, mit Menschen umzugehen und sie emotional in Haftung zu nehmen für eigene Entscheidungen.

Dr. MCSchreck

@Dr. MCSchreck Und warum sollten die demokratischen Prozesse umgangen werden, um die Wünsche von ein paar einzelnen Streikenden zu erfüllen? So funktioniert die Demokratie nicht. Ehrenwert ist der Wille der Streikenden zur Unterstützung des Klimaschutzes. Ihre eingesetzten Mittel dieser PR-Aktion sind das nicht. Black&White

@Black & White Gandhi hat nach ihrer Theorie also das britische Empire mit unehrenwerten Mitteln besiegt? Nein, der Hinweis auf die Hunderttausenden Toten durch die globale Erhitzung ist berechtigt – und wird durch einen „Hungerstreik bis zum Ende“ verstärkt. Unser Leben ist nicht mehr wert als das Leben jener, die in der Sahel-Zone mit der Dürre leben müssen. Namaste

@Namaste Ihr Gandhi-Vergleich ist schon sehr weit hergeholt. Sie berücksichtigen nicht den gesellschaftlichen Rahmen des Rechtsstaates. Der Hungerstreik schadet der Klimabewegung – er polarisiert und splittet die Gruppe der Klimaschützer auf. Black&White