Portugal steht vor einem Generalstreik

Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst wollen das Haushaltsdefizit nicht bezahlen und am 15. Juli die Arbeit niederlegen. Regierungschef Sócrates bekommt Druck aus Brüssel, weil das gegen die EU-Stabilitätskriterien verstößt

MADRID taz ■ Portugals Premierminister José Sócrates hat das Vertrauen vieler seiner Wähler verloren. Nur drei Monate nach seinem Einzug in den Regierungspalast sieht sich der Sozialist einer Protestwelle der Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst ausgesetzt. Für den 15. Juli rufen die Gewerkschaften jetzt gar zum Generalstreik im gesamten öffentlichen Bereich auf. Der Grund: Sócrates will den Staatshaushalt abspecken, um das Haushaltsdefizit zu senken. Ganz oben auf der Kürzungsliste stehen die Sonderleistungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Sie wollen da nicht mitspielen.

Doch Sócrates hat keine andere Wahl, als sich auf den Machtkampf mit den Gewerkschaften einzulassen. Denn Portugal droht ein Strafverfahren aus Brüssel wegen des Verstoßes gegen die Euro-Stabilitätskriterien. Das Haushaltsdefizit wird sich dieses Jahr auf 6,83 Prozent des BIP belaufen. Der Maastrichter Stabilitätspakt lässt aber nur 3,0 Prozent zu. Auch bei der Staatsverschuldung sieht es schlecht aus. 66,5 Prozent hält der EU-Währungskommissar Joaquín Almunia den Portugiesen vor. Zulässig sind 60 Prozent. Die Gesamtverschuldung werde sogar noch weiter steigen, ist sich Brüssel sicher. 2002 wurde Lissabon schon einmal wegen des Verstoßes gegen die Euro-Stabilitätskriterien gerügt. Das Verfahren wurde 2004 eingestellt, nachdem das Defizit auf 2,9 Prozent gesunken war.

Sócrates gibt die Schuld für den spektakulären Anstieg des Haushaltsdefizits seinem Vorgänger Pedro Santana Lopes. Der Populist setzte die Sparpolitik außer Kraft. Er ignorierte die Verwarnung aus Brüssel, gab Steuersenkungen bekannt und versprach, die Löhne im öffentlichen Dienst anzuheben. Staatspräsident Jorge Sampaio zog die Notbremse und löste das Parlament vorzeitig auf. José Sócrates gewann die vorgezogenen Neuwahlen mit absoluter Mehrheit.

Jetzt muss der gemäßigte Sozialist den Staatshaushalt sanieren. Er verspricht Brüssel die Senkung des Defizits auf 4,8 Prozent bis 2006, 2007 sollen es sogar nur noch 2,8 Prozent sein. Wo ließe es sich besser sparen als im öffentlichen Bereich, der knapp 80 Prozent der Staatsausgaben verschlingt?

Die Regierung will deshalb die bisher bei Beamten je nach Dienstalter fällige automatische Beförderung abschaffen. Das Rentenalter für Beamte soll wie in der Privatwirtschaft auf 65 Jahre angehoben werden. Sonderbedingungen bei der Gesundheits- und Sozialversicherung sollen gestrichen werden.

„Wir werden unsere Errungenschaften nicht aufgeben“, schimpfen die Gewerkschaftsvertreter bei den Kundgebungen und Warnstreiks überall im Lande. Lehrer, Krankenschwestern oder Polizeibeamte sind bisher den Aufrufen zu Warnstreiks gefolgt. Vor zwei Wochen zogen 50.000 Menschen durch die Straßen Lissabons. Der Generalstreik am 15. Juli soll der Höhepunkt der Protestwelle werden.

Um wieder Vertrauen zu schaffen, will die Regierung die Wirtschaft ankurbeln. Doch auch das wird nicht leicht. Seit drei Jahren steckt Portugal in einer tiefen Krise. Die Arbeitslosigkeit hat sich in den letzten beiden Jahren verdreifacht und liegt bei 7,1 Prozent. Nach einer Anhebung der Mehrwertsteuer auf 21 Prozent droht jetzt die Binnennachfrage völlig zusammenzubrechen. Sócrates kündigte Anfang des Monates Investitionen in Höhe von 25 Milliarden Euro in Infrastrukturmaßnahmen an. 120.000 Arbeitsplätze sollen somit geschaffen werden. Dank der leeren Staatskassen soll ein Großteil des Geldes von privaten Investoren kommen. Der Staat zöge sich aus ureigensten Aufgaben zurück, beklagen Kritiker.

REINER WANDLER