ÖSTERREICH DARF AUSLÄNDISCHE STUDENTEN NICHT WEITER DISKRIMINIEREN
: Unsanftes Ende eines langen Schlafs

Gesetzes-Schnellschüsse haben in der Regierung Wolfgang Schüssel Tradition. Der jüngste Akt: Heute soll ein Gesetz durch den Nationalrat gepeitscht werden, das die Einführung von Numerus clausus und Aufnahmsprüfungen an Hochschulen ermöglicht. Anlass ist das gestrige Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Es verpflichtet Österreich, die diskriminierenden Zugangsbestimmungen für Ausländer zu beseitigen. Das Urteil war lange absehbar gewesen. Doch anstatt sich rechtzeitig darauf vorzubereiten, setzte die österreichische Regierung auf Aktionismus.

Seit Anfang der Woche campieren Abiturientinnen und Abiturienten vor den Immatrikulationsstellen der Wiener Universitäten. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer hatte ihnen empfohlen, sich vor dem EuGH-Urteil um die knappen Studienplätze in Fächern wie Medizin, Psychologie oder Betriebswirtschaft zu bewerben. So hätten sie immerhin einen Vorsprung vor den Studierwilligen aus Deutschland und anderen EU-Ländern, die nun angeblich massenhaft nach Österreich strömen.

Schon 1994 hatte die EU-Kommission das damalige Beitrittsland aufgefordert, den freien Zugang zu den Hochschulen für alle zu garantieren, und im März 2003 das Verfahren vor dem EuGH eingeleitet. Was herauskommen würde, war klar. Doch die rot-grün dominierte Hochschülerschaft war ebenso wenig ein Gesprächspartner wie die Opposition, die erst zwei Tage vor der Urteilsverkündung eingeladen wurde, Vorschläge zu unterbreiten. Nachdem sie jahrelang versäumt hatte, eine strategische Lösung vorzubereiten, schiebt die Bildungsministerin das Problem jetzt in bekannter Weise an die Rektoren ab. Wozu gibt es schließlich die Hochschulautonomie?

Österreichs Regierung versäumt keine Gelegenheit, ihr Interesse an der Wissenschaft zu behaupten und die Einrichtung von Eliteunis zu deklarieren. Aber in der Praxis bemüht sie sich nicht, die im EU-Schnitt niedrige Akademikerquote Österreichs anzuheben. Das jüngste Debakel beweist erneut, welchen geringen Stellenwert die Bildungspolitik derzeit in Österreich hat. RALF LEONHARD