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Happy Birthday, Beuys

„Direkte Demokratie“, „soziale Plastik“ – zwei Begriffe aus der Kunst Joseph Beuys’, die auf eine inspirierende Beziehung des Ausnahmekünstlers zur Anthroposophie verweisen. In diesem Jahr wäre Beuys 100 geworden

Ein Woodstock der Ideen – Joseph Beuys, Achberg und der deutsche Süden. Anlässlich des 100. Geburtstagsjubiläums von Joseph Beuys im Jahr 2021 widmen das Museum Ulm (seit 4. Juli beendet) und die Kunsthalle Vogelmann Heilbronn (noch bis 28. November 2021) dem Jahrhundertkünstler unter diesem Titel ein gemeinsames Ausstellungsprojekt.

https://museen.heilbronn.de/kunsthalle/ausstellung/

Er pflanzte 7.000 Eichen, meditierte mit einem Kojoten, überquerte im Einbaum den Rhein und füllte Museen und Galerien mit merkwürdigen Objekten, von Hasenpfoten über rostige Waschbecken bis hin zu Schubkarren voller Schokoladen-Büsten: Wohl kaum ein Künstler hat die Öffentlichkeit der Bundesrepublik so nachhaltig beschäftigt wie Joseph Beuys. Was wohl auch an Beuys’ erweitertem Begriff von Kunst lag – zeit seines Lebens arbeitete der 1921, also vor genau 100 Jahren, in Krefeld geborene Aktionskünstler daran, direkt in die Gesellschaft hineinzuwirken.

„Was soll Kunst denn wert sein, wenn sie keine Kriege verhindern kann?“, hatte Beuys sein Verständnis einmal zugespitzt, in Anlehnung an Picassos Motto von der Kunst als „scharfes Messer“. Das bleibe aber stumpf, wenn die Kunst nur in Museen und Galerien versteckt bleibe. „Deswegen habe ich nach ­einem erweiterten Kunstbegriff gesucht, auf menschliche Fähigkeiten, die in allen Teilen der Gesellschaft wirken können und nicht nur in dem abgeschiedenen Teil moderne Kunst, der fast wie ein Extraplanet aussieht, nur zugänglich für Privilegierte“, brachte es Beuys 1980 in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk auf den Punkt.

Handfeste Konflikte

So politisch zu denken bescherte Beuys zugleich handfeste Konflikte, vor allem während seiner Tätigkeit als Hochschul­lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie. Beuys’ Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler“ kollidierte dort mit dem üblichen Zulassungsverfahren – und bescherte dem Enfant terrible 1972 den Rausschmiss durch die staatliche Verwaltung. Während die Studenten noch skandierten: „1.000 Johannes Raus [damals Kultusminister; d. Red.] ersetzen noch keinen Joseph Beuys!“, arbeitete der Künstler schon weiter an seinen Ideen – was am Ende im Begriff der „sozialen Plastik“ mündete. Der wiederum orientierte sich an Rudolf Steiners Vorstellung von der ­Gesellschaft als „sozialem Organismus“, gegliedert in die drei Bereiche „Geistesleben“, „Rechtsleben“ und „Wirtschaftsleben“.

Für Beuys hieß das auch: einen dritten Weg zwischen „westlichem Privatkapitalismus“ und „östlichem Staatskapitalismus“ finden. Legendäres Zeugnis dieser Suche ist die Weihnachtsbeilage der Frankfurter Rundschau im Jahr 1978. Sie enthielt nicht wie gewohnt den ganzseitigen Abdruck eines Kunstwerks, sondern einen „Aufruf zur Alternative“, als dessen Autor Joseph Beuys firmierte. „Zwei Strukturelemente stellen die eigentliche Ursache der ganzen Misere dar: Das Geld und der Staat“, konnte man dort etwa lesen. Statt Apparatschiks und Kapitalisten sollte der Mensch als solidarisches Wesen wieder das Maß aller Dinge werden.

Koautor des Aufrufs war Wilfried Heidt. Mit Beuys und anderen Gleichgesinnten hatte der Anthroposoph in den 1970er Jahren das „INKA“, ein interna­tionales Forschungs- und Kulturzentrum in Achberg am Bodensee, aufgebaut. „Wir haben damit Ansätze aufgegriffen, die von der anthroposophischen ­Bewegung bisher vernachlässigt wurden“, so Heidt im Jahr 2009 gegenüber der taz. War es sogar eine Art „Woodstock der Ideen“, wie eine Ausstellung zu „Joseph Beuys, Achberg und dem deutschen Süden“ in Ulm und Heilbronn in diesem Sommer behauptete?

Wie auch immer. Andere mochten beim Thema Anthroposophie an pädagogische Konzepte, alternative Heilmethoden oder biologisch-dynamische Landwirtschaft denken. Im Achberger Denklabor werkelte man nicht nur an Zielen, sondern vor allem am Weg dorthin. Und das war auch für den späten Joseph Beuys vor allem die direkte Demokratie. „Volksgesetzgebung als Gegengewicht zum Parlamentarismus: Diese Linie zieht sich von der frühen Arbeiterbewegung über Steiners Sozialimpuls bis in unsere Gegenwart“, so Heidt über die Forderung nach Plebisziten auf Landes-, Bundes- und Europaebene, die auch Beuys gefordert habe.

Eine schöne Pointe

Beuys’ Name findet sich nicht zufällig auch unter den Baden-Württemberger Kandidaten der Grünen Liste für die erste Europawahl im Sommer 1979, er nahm am Gründungsparteitag der Bundespartei in Karlsruhe teil und gestaltete ­diverse Wahlplakate. Nachhaltiger als dieses Engagement war jedoch seine Unterstützung für direkte Demokratie – bis heute belegt durch den in der Staatsgalerie Stuttgart ausgestellten goldenen „Friedenshasen mit Zubehör“, Beuys-typisch bei einer Umschmelzaktion gewonnen, an deren Anfang die Kopie der Krone von Zar Iwan dem Schrecklichen stand.

Der Umriss von Goldhase und Sonne war eine Zeit lang das Markenzeichen der bundesweiten „Aktion Volksentscheid“, der es in den 1980er Jahren gelang, Hunderttausende Unterschriften für ihr Anliegen zu sammeln. Sogar schwarze ­Reisepässe für die fiktive „Direkt Demokratische Republik“ mit goldenem Beuys-Logo wurden herausgeben. Ein dritter deutscher Staat als Ergebnis einer Kunstaktion, das wäre eine schöne Pointe dieses Künstler­lebens gewesen. Stattdessen kam 1990 die Wiedervereinigung, vier Jahre nach dem Tod des Mannes mit dem Filzhut.

Ansgar Warner