Buch „Der Trubel um Diversität“: Die Liebe zur Differenz

Vernachlässigt die Linke die soziale Ungleichheit? Walter Benn Michaels wirft ihr in „Der Trubel um Diversität“ jedenfalls Identitätsverliebtheit vor.

Ein Kunstwerk, um das sich Menschenmassen versammelt haben.

Enthüllung des Kunstwerks „Sketch for a Fountain“ in Münster: Es steht für Diversität und Toleranz Foto: Lino Mirgeler

Als „Der Trubel um Diversität“ im amerikanischen Original erschien, wurde dem Autor vonseiten sich kritisch wähnender antirassistischer Kreise Rassismus vorgeworfen.

Dabei hatte Walter Benn Mi­chaels, marxistisch geschulter Professor für englische und amerikanische Literatur in Chicago, lediglich auf etwas Offensichtliches hingewiesen, das 15 Jahre später, wo dieses Buch dankenswerterweise auch auf Deutsch erscheint, nur noch offensichtlicher geworden ist.

Walter Benn Michaels: „Der Trubel um Diversität“. Aus dem Englischen von Ch. Hesse. Edition Tiamat, Berlin 2021, 296 S., 24 Euro

Nämlich: Während wir uns mit immenser Energie und kritischem Herzblut auf allen Ebenen der Gesellschaft der Anerkennung und Förderung von wie auch immer gearteter Diversität und dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung widmen, ist davon ein Ungleichheitsverhältnis nahezu unberührt geblieben bzw. hat sich radikalisiert: die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, die Verteilung des Reichtums ungerechter (die USA und Deutschland stechen hier laut OECD besonders hervor), die Ausbeutung insbesondere in den unteren Lohnsegmenten schärfer.

So steuern wir auf eine Situation zu, in der im antirassistischen Idealfall zwar am Ende alle Arbeitsbereiche von den Managementebenen via Quoten und affirmativer Aktion bis zum ausgebeuteten Fußvolk in den Billiglohndienstleistungsklitschen unten ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend diversifiziert sind, sich aber gerade für dieses größer werdende Fußvolk mit der Diversität keinerlei ökonomischer Fortschritt verbindet.

Nicht der eine Schlüssel

Das heißt, und darauf zielt Benn Michaels’ ebenso scharfzüngige, klar argumentierende wie ungemein les- und verstehbare Analyse: Die Förderung von Diversität und der Kampf gegen Rassismus in den Arbeitsverhältnissen ist einer aufgeklärten Gesellschaft zwar angemessen und auch unbedingt weiterhin nötig. Er ist aber eben nicht der eine, der radikale, machtumstürzende, fundamentale Schlüssel im Kampf um soziale Gerechtigkeit, geschweige denn für die Gleichheit aller Menschen.

Denn dafür müsste man die Struktur des Kapitalismus selbst brechen, der auf der Hierarchie und dem Antagonismus von Kapital und Arbeit beruht und am Laufen nur gehalten werden kann, wenn er den höchsten Profit aus der geringstmöglichen Entlohnung der Arbeitskräfte zieht.

Diese Ungleichheit ist ungleich fundamentaler und mit Diversitätsförderung leider nicht aus der Welt zu schaffen. Weswegen auf die auch kaum ein Unternehmen, kaum eine Universität und andere öffentliche Institution als Managementtechnologie verzichten mag: Ihre Kosten sind verschmerzbar, der moralische Marktwert sehr hoch.

Auch dies könnte die diversitätsverliebte Linke zur Kenntnis nehmen und sich fragen, weshalb das Kapital den Rassismus seit einiger Zeit auch nicht mehr mag.

Die verzweifelte Linke

Michaels gräbt nicht nur am Selbstbild der antirassistischen Linken als radikale Systemumstürzler. Vielmehr setzt er den Antirassismus der Gegenwart ins Verhältnis zum Rassismus der Vergangenheit, nämlich: Wir reden von Rassen (damals), kulturellen Identitäten (heute) und feiern Diversitäten, um von ökonomischer Ungleichheit und Ausbeutung zu schweigen.

Weil wir nicht daran glauben, es ließe sich an diesen Verhältnissen etwas ändern (verzweifelte Linke), weil wir nicht wollen, dass sich an diesen Verhältnissen etwas ändert. Oder weil wir sogar letztlich daran glauben, dass die Hautfarbe uns bestimmt.

Walter Benn Michaels’ Plädoyer, dem Kampf gegen ökonomische Ungleichheit Priorität gegenüber Diversitätspolitik und identitärem Kulturkampf einzuräumen, ist begeisternd streitbar. Doch will man das vielleicht auch hier nicht. Zu einem Vortrag wurde der Autor im letzten Jahr ein- und dann ganz schnell wieder ausgeladen. Ein Mensch fürchtete, per Zoom Gewalt ausgesetzt zu werden.

Diversität(spolitiken) nicht affirmativ als per se fortschrittliche Politik zu preisen wird gegenwärtig schon als Gewalt angesehen und erscheint gar manchen Linken als nicht mehr zumutbar. Ein Grund mehr, unbedingt dieses Buch zu lesen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.