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„Die Wohnung soll kein Operationssaal werden“

Desinfektionsmittel ist seit der Pandemie allgegenwärtig – auch zum Putzen im Haushalt. Nötig ist das nicht, sagt Experte Tristan Jorde

Foto: Karin Gerdes

Tristan Jorde

leitet den Bereich Umwelt und Produkttechnik der Verbraucherzentrale Hamburg.

Interview Hagen Gersie

taz: Herr Jorde, Desinfektionsmittel sind mit der Pandemie zu einem Alltagsgegenstand geworden. Sollte man sie auch zur Reinigung in der Wohnung nutzen?

Tristan Jorde: Es gibt medizinische Gründe, sich die Hände zu desinfizieren, und bei denen sollte es auch bleiben. Von einer alltäglichen Desinfektion wird von Ärzten und Hygienikern abgeraten. Wir haben auf unserer Haut natürliche Schutzbarrieren und die werden mit diesen Desinfektionsmitteln zerstört. Normales, je nach Anlass auch gründlicheres Waschen mit Wasser und Seife ist völlig ausreichend …

… und um Oberflächen zu putzen, sollten wir es also auch nicht nutzen?

Eben auch nicht routinemäßig. Übereinstimmend wird gesagt, dass eine Alltagsdesinfektion im Haushaltsbereich überflüssig und sogar schädlich ist. Es gibt natürlich Gründe, Flächen zu desinfizieren. Die liegen aber im medizinischen Bereich. Es ist schwierig genug, dort die Dinge keimfrei zu kriegen.

Was ist das Problem mit diesen Mitteln?

Es sind die Mittel selbst, die meistens giftig oder umweltschädlich sind. Und Sie richten damit Schaden an, indem Sie es versprühen und es an die Atmungsorgane gelangt oder auf der eigenen Haut einreiben – Desinfektionsmittel sind sehr aggressiv. Drittens: Fast niemand kann richtig desinfizieren. Irgendwo mal eben schnell aufsprühen ist noch lange keine Desinfektion. Das führt immer zu unvollständiger Desinfektion und die wiederum fördert Resistenzen von Keimen. Deshalb gilt: Desinfektionsmittel nur dort, wo unbedingt nötig und so wenig wie möglich einsetzen.

Wie kriege ich also Schmutz aus meiner Wohnung?

Wenn ich jetzt von gewöhnlichem Schmutz rede, reichen konventionelle Reinigungsmittel. Ich plädiere da für starke Abrüstung bei den Mitteln.

Das heißt?

Das heißt, einfach mit dem geringstmöglichen Mittel hinzukommen. Sie kommen in den allermeisten Haushaltsbereichen mit gewöhnlichen Seifen, Zitrus- oder Natronreinigern aus: alkalisch, sauer oder auf Tensidbasis. Das sind die klassischen, eher harmlosen Reinigungsmittel.

Was ist mit Spüli?

Mit Spüli kann man sehr viel erreichen. Es ist nichts anderes als ein Tensid, das Fette in Lösung im Wasser bringt, dadurch kann man diese abspülen und man wird sie los. Mit Spüli können Sie ganz viel klassischen Haushaltsschmutz loswerden. Und den Rest geht mit Säurereinigern oder alkalischen Reinigern weg. Es gibt aber kein Universalmittel, das alles killt und sauber macht. Es gibt für verschiedene Arten von Schmutz verschiedene sinnvolle Anwendungen. Und überall gilt das Minimierungsgebot, zumindest aus ökologischer und gesundheitlicher Sicht. Nur in sehr wenigen Fällen brauchen Sie ein bisschen was Schärferes.

In welchen?

Eigentlich nur dann, wenn Sie den Schmutz lange eintrocknen lassen. Immer wenn Sie den Schmutz frisch entfernen können und wollen, kommen Sie mit ganz geringem Aufwand weiter. Es geht nicht darum, eine keimfreie Umgebung herzustellen. Die Wohnung soll kein Operationssaal werden. Man soll sich wohlfühlen. Im Haushaltsbereich reicht es, wenn es augenscheinlich sauber ist.

Die Werbung sagt etwas anderes.

Das sind diese berühmten Reklamen, die es früher gab: „Ihre Badewanne sieht sauber aus, aber …“ – dann schaut ein Mikroskop drauf und zeigt, dass da noch Bakterien sind. Dann plädieren sie in den Reklamen dafür, mit irgendeinem Killerding drüberzugehen, damit sich nichts mehr im Bade rührt. Das ist schön für die, die das verkaufen, aber sonst richtet das nur Schaden an und hat keinen Nutzen.

Kostenloses Webinar „Sind wir noch ganz sauber?“ von der Verbraucherzentrale Hamburg am 24. 11., ab 16 Uhr, Anmeldung auf www.vzhh.de