Auftritt der Klima­schurken

Länder wie Australien und Brasilien sind für die Klimakonferenz in Glasgow harte Brocken: Sie versprechen Maßnahmen gegen die Erderhitzung, steuern aber nicht wirklich dagegen

Wischiwaschi aus Canberra

Australiens Premier Scott Morrison erwartet in Glasgow ein kühler Empfang von Klimaschützern. Seine Regierung denkt trotz blumiger Ankündigungen offenbar nicht daran, die mächtige Kohleindustrie in die Schranken zu weisen

Ein Koala ­inmitten verbrannter Erde: Kangaroo Island im Januar 2020 Foto: Fo­to: ­RSPCA South australia via reuters

Von Urs Wälterin

Der in Melbourne lehrende deutsche Klimaprofessor Malte Meinshausen hat es vorausgesagt. Er rechne mit einem „Wischiwaschi-Ziel mit vielen Schlupflöchern“, sagte der Akademiker zur taz schon vor der blumigen Ankündigung des australischen Ziels der Klimaneutralität im Jahr 2050 durch Premierminister Scott Morrison in der vergangenen Woche. Und Wirtschaftsprofessor Richard Holden meinte nach der Rede Morrisons, „‚Business as usual‘ wird uns nicht zu Klimaneutralität führen. Es ist eine Lüge. Und die Lügner, die diese Lüge erzählen, wissen, dass sie eine Lüge ist.“

Australien hat unter den Industrieländern weltweit pro Kopf die meisten klimawirksamen Emissionen. Es generiert rund 70 Prozent des Stroms mit Kohle. Außerdem ist Down Under der weltgrößte Kohleexporteur. Mit diesen Ausfuhren ist das Land für fünf Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Zum Vergleich: Deutschland hat mehr als dreimal so viele Einwohner wie Australien, ist aber „nur“ für 2 Prozent der klimawirksamen Emissionen verantwortlich. Australien ist zudem führend im Export von klimaschädlichem Flüssigerdgas.

Australiens leidet zwar unter offensichtlich von der klimabedingten Dürre mitverursachten Waldbränden, die Korallen im Barrier Reef sterben wegen des Klimawandels ab – die Klimapolitik des Landes halten Fachleute jedoch für schwach, das von Premier Morrison angekündigte Neutralitätszieljahr 2050 ist für sie unzureichend. Diese Grenze werde ohne Anstrengung erreicht, weil Australien derzeit weniger Urwälder abholzt, sagt Meinshausen. Die Emissionen aus Industrie und Bergbau dagegen seien gestiegen. Laut Morrison will Australien künftig vor allem mit Technologie Treibhausgase reduzieren. Energieminister Angus Taylor meint, Australien sei „schon heute führend in Solarstrom. Ein Viertel aller Dächer haben Solarzellen.“ Wie Morrison selbst scheint der Politiker eine bemerkenswerte ideologische Wende durchgemacht zu haben. Jahrelang galt Taylor als vehementer Gegner erneuerbarer Energien, der die Windkraft als die „neue Klimareligion“ verhöhnte.

Immer noch legt Canberra dem Sektor Steine in den Weg: Ein Vorschlag für den Bau einer Riesensolaranlage in Westaustralien wurde jüngst von der Regierung abgelehnt. Hingegen gibt es Pläne für 50 neue Kohleminen oder die Expansion bestehender Anlagen. Der Gassektor soll massiv ausgebaut werden, mit Hilfe von Milliarden an Steuergeldern.

Prinz Charles mahnt Die Weltklimakonferenz der UNO in Glasgow ist am Sonntag eröffnet worden. Thronfolger Prinz Charles mahnte, die „buchstäblich letzte Chance“ zur Abwendung einer Klimakatastrophe zu nutzen. Am Montag wollen hier über 100 Staats- und Regierungschefs die Maßnahmen ihrer Länder zur Eindämmung von CO2-Emissionen präsentieren. Die Konferenz dauert bis zum 12. November.

Klima wärmer Die sieben vergangenen Jahre waren laut UN-Weltwetterorganisation WMO die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das Jahr 2021 werde voraussichtlich das fünft-, sechst- oder siebtwärmste sein.

taz dabei Die taz begleitet die COP mit einer umfangreichen Berichterstattung auf allen Kanälen.

Kernstück der australischen Klimastrategie ist die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS). Die Endlagerung des CO2 im Boden ist allerdings noch nicht technisch ausgereift. Meinshausen hält CCS auch nicht für sinnvoll: „Erneuerbare sind heute schon günstiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken“, sagt der Klimaexperte.

Auch eine andere, zumindest in der Theorie klimafreundliche Technologie soll laut Premier Morrison eine wichtige Rolle spielen: „Grüner“ Wasserstoff. Wasserstoff emittiert bei der Verbrennung nur Dampf. Wirklich „grün“ ist diese Alternative zu Diesel für den Schwer- und Schiffsverkehr jedoch nur, wenn der Strom dafür mit Solar- oder Windenergie hergestellt wird. Dem Verfahren stehen noch viele technische und finanzielle Hürden im Weg – der Brennstoff ist heute viel zu teuer. Es gibt allerdings private Pläne für den Bau großer Solar- und Windanlagen zum Betrieb von Wasserstoff-Fabriken. Einzelne australische Bundesstaaten haben die Chancen der Technologie erkannt und unterstützen Investoren mit großzügigen Subventionen.

Morrison, der bis vor wenigen Tagen gar nicht nach Glasgow reisen wollte, musste sich beim Klimaziel gegen die Klimaskeptiker in seiner eigenen konservativen Regierungskoalition durchsetzen, die die Interessen der Kohleindustrie vertreten. Bis vor Kurzem zählte auch der Regierungschef selbst noch zu den Klimazweiflern. Als Schatzkanzler hatte er einst einen Klumpen Kohle ins Parlament gebracht, um dem Volk zu zeigen, dass es vor dem fossilen Brennstoff „keine Angst haben“ müsse.

Die Kohleindustrie unterstützt die beiden Regierungsparteien und auch die oppositionelle Laborpartei mit Spenden in Höhe von jährlich Hunderttausenden Euro. Viele Mitarbeiter von Ministern waren Funktionäre der Rohstoffbranche. Im Gegenzug arbeiten Ex-Politiker gerne als hoch bezahlte Lobbyisten für den Kohlesektor.

Australien hat unter den Industrieländern weltweit pro Kopf die meisten klima­wirksamen Emissionen

Als vor Monaten die USA, Großbritannien und die EU forderten, Australien müsse endlich seinen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten, sah sich Canberra zum Handeln gezwungen. Die Befürchtung, dass australische Güter von der EU wegen ihres hohen „CO2-Fußabdrucks“ mit signifikanten Einfuhrzöllen belastet werden, war offenbar ausschlaggebend für Morrison, das Ziel zu setzen. Einzelheiten nannte er keine: die Regierung wies jede Forderung nach Berechnungen und Prognosen zurück.

Ein Kritiker meinte am Donnerstag, Australien werde in Glasgow versuchen, „das Klimaproblem auf dem Rücken der Weltgemeinschaft lösen zu lassen“. Laut Meinshausen hätte Australien dank seines Reichtums an Sonne durchaus Potenzial, zu einer nachhaltigen „Superpower“ zu werden. Deutschland hat wohl deswegen mit Canberra ein Abkommen über die Entwicklung von „grünem“ Wasserstoff abgeschlossen. Doch Kritiker warnen: Australien spreche zwar von „sauberem Wasserstoff“, wolle ihn bei genauem Hinsehen aber auch mit Strom aus Erdgas herstellen – oder sogar aus Braunkohle. Angesichts solch rhetorischer Kunstgriffe müsse die Welt „Australien genau auf die Finger schauen“, sagt auch Meinshausen.

Der Ruf des Landes, ein verlässlicher Vertragspartner zu sein, hat ohnehin gelitten. Das sehe man bei den internationalen Klimaverhandlungen, aber auch bei der jüngsten Volte Morrisons, einen U-Boot-Liefervertrag mit Frankreich zu stornieren. Der Premier hatte den französischen Präsidenten Emmanuel Macron per SMS über den Entscheid informiert – und damit eine Vertrauenskrise zwischen Europa und Australien ausgelöst, die bis heute anhält.

Gegen den Amazonas

In Brasiliens Umweltplan für die COP steht nichts zur Abholzung des Regenwalds

Von Niklas Franzen

Geliebt, reich, begehrt: So bezeichnete Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro den Amazonas-Regenwald erst vor zwei Wochen. Für Bolsonaro hat der größte Regenwald der Welt einen zentralen Stellenwert. Doch im Gegensatz zu Um­welt­schüt­ze­r*in­nen und Indigenen kämpft der Ex-Militär für eine wirtschaftliche Ausbeutung der Region.

So fordert Bolsonaro Bra­si­lia­ne­r*in­nen geradezu auf, sich illegal Land anzueignen, beschimpft regelmäßig Um­welt­schüt­ze­r*in­nen und vergleicht Indigene mit Zootieren. Das Ökosystem Amazoniens hat Auswirkungen auf den ganzen Planeten. Die meisten For­sche­r*in­nen sind sich sicher: Ein Verlust des Regenwaldes hätte dramatische Konsequenzen für das weltweite Klima. „Die Bolsonaro-Regierung hat nur die Wirtschaft im Blick und denkt in keiner Weise an die Auswirkungen des Klimawandels“, sagt Marcelo Rocha der taz. Der 24-Jährige ist Aktivist von Fridays for Future Brasil und befindet sich derzeit beim Klimagipfel COP in Glasgow. Laut Rocha sind auch in Brasilien die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. Extremwetterlagen wie Hitzewellen oder Unwetter werden immer häufiger.

Die NGO Climate Observatory veröffentlichte am Donnerstag einen Bericht, wonach Brasiliens Treibhausgasausstoß im vergangenen Jahr trotz Pandemie um 9,5 Prozent gestiegen ist. Grund: die zunehmende Abholzung im Amazonas-Regenwald. Damit sei Brasilien eine der wenigen großen Volkswirtschaften, in der die Verschmutzung während der Pandemie nicht zurückging. Der Klimawandelskeptiker Bolsonaro steht international massiv wegen seiner Umweltpolitik in der Kritik. Viele Unternehmen drohen bereits, sich aus Brasilien zurückzuziehen, sollte das Land die Umweltziele nicht einhalten. Ist eine Kehrtwende zu erwarten?

Bolsonaros Vize, Hamilton Mourão, erklärte in der vergangenen Woche, die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwaldes in zwei oder drei Jahren zu beenden. Laut dem Klimaaktivisten Rocha hat diese Ankündigung eine einfache Erklärung: „Die Bolsonaro-Regierung reduziert die illegale Abholzung, indem sie sie einfach legalisiert.“ Umweltvorschriften würden immer weiter gelockert, der Regenwald weiter zerstört. Auch weil die Regierung Umweltbehörden wie die Ibama oder die Indigenenbehörden Funai entmachtet hat, indem sie ihnen die Mittel radikal kürzte.

Die Konsequenz: Es gibt immer weniger Kontrollen, immer weniger Bußgelder. Holzfäller, Viehzüchter und Goldgräber verstehen das als Freifahrtschein. Am Dienstag sorgte Bolsonaro mal wieder für Aufsehen, als er ein indigenes Gebiet besuchte, in dem sich illegale Goldminen befinden. Die Goldgräber waren in die Region eingefallen, nachdem Bolsonaro ihnen eine Legalisierung versprochen hatte. Indigene klagen über verheerende Konsequenzen des Bergbaus für Mensch und Natur.

Brasiliens Umweltminister Joaquim Leite präsentierte derweil ein „Nationales Program zum grünen Wachstum“, das bei der COP in Glasgow vorgestellt werden soll. Vieles darin blieb jedoch unklar. „Nichts wurde über die Abholzung oder die Ziele zur Senkung der Emissionen gesagt“, kritisierte der Direktor des Klimaobservatoriums Marcio Astrini im Interview mit dem Fernsehsender Globo. Dessen Fazit: „Sie haben nichts zu sagen oder anzubieten für die Klimakonferenz.“