berliner szenen
: Nur drei Stunden bis Posen

S. meldet sich vom Antonplatz: Hier spielt 'ne Jazzband, komm vorbei. Frühschoppen? Ich weiß nicht. Ich fahre trotzdem.

Es ist noch schlimmer, als ich befürchtet hatte, aber in gewisser Weise auch besser: Vier grauhaarige Zottel stehen auf der Wiese vorm Edeka und spielen eine Blasmusikversion von Pink Floyds „Shine on You Crazy Diamond“.

Die Ommas auf den Bänken wippen dazu mit den Füßen, ein Typ mit einer Dose Balantines Cola groovt gefährlich wankend zwischen den Passanten, zwei Schulmädchen sitzen im Gras und schauen den alten Männern mit ihren komischen Instrumenten zu.

Die sind direkt von der Schule hierher, meint S. Die Musik ist wirklich nicht so übel. Wir reden über die Enttäuschung über den Ausgang der Abgeordnetenhauswahl und die Regierungsbildung in Berlin.

Balantines Cola bleibt kurz bei uns stehen: Katastrophe, murmelt er. Es ist nicht ganz klar, was er meint.

Wir ziehen weiter zu einem liebevoll gepflegten Gärtchen an einer Verkehrskreuzung. Ein älterer Herr kommt mit einer Kaffeekanne und gießt die jungen Weinreben mit einer braunen Flüssigkeit.

Dünger, erklärt S. fachmännisch.

Auf die Wand des Trafohäuschens hat jemand einen Soldaten mit Bajonett und Pickelhaube gemalt. S. zeigt mir, wo das Studio der isländischen Musikerin Hildur Guðnadóttir ist, die schon einen Golden Globe und einen Oscar für ihre Soundtracks gewonnen hat.

Später essen wir Eis am Humannplatz und treffen zwei andere Isländer. D. berichtet von seiner Urlaubsreise nach Posen. Posen? Was macht man denn in Posen?, will ich wissen.

D. sieht mich verblüfft an. Kaffee trinken, was sonst, sagt er, außerdem sind es mit der Bahn nur drei Stunden bis Posen.

Sascha Josuweit