WIE LEBT MAN FREI VON ZWÄNGEN? INDEM MAN SICH BEISPIELSWEISE SEINEN GEBURTSTAG SELBER AUSSUCHT
: Mehr Möglichkeiten wagen!

Julia Seeliger

Heute ist mein wahrer Geburtstag. Der Holunder blüht süß und schwer, die Nächte sind kurz, es könnten immer Sommerferien sein. Er ist also perfekt.

Man kann meinen wahren Geburtstag bei XING und in einigen anderen Diensten nachlesen. Manche trauen diesen Diensten und schicken mir Glückwünsche. Ich bin gespannt, von wem heute etwas kommen wird. Bei Wikipedia hingegen ist, aufgrund einer Dummheit meinerseits – ich war so blöd, an meinem 28. Geburtstag zu bloggen, dass ich Geburtstag habe –, mein Pass-Geburtstag verzeichnet. Ansonsten wäre aufgrund von Uneindeutigkeit wohl gar kein Tag angegeben, so wie bei vielen meiner Freunde, die besser auf solche Daten geachtet haben. Böses Internet? Nein, selbst schuld. Im Grunde bietet das Internet ja so viele Möglichkeiten! Für andere Geburtstage, Identitäten, Nischenvorlieben, neue soziale Bewegungen.

Mit dem Internet ist auch die Piratenpartei groß geworden. Ich finde aber, die wird immer nerviger. Die kommt im Arsch der Institution an und nutzt ihre Möglichkeiten gar nicht. Man könnte ja schon noch irgendwas Wichtiges machen, bevor das Demokratie-Update bei 2.0 angekommen ist. Doch die Piraten sagen nichts zur Arbeit im dezentralen, deregulierten, zerstreuten Zeitalter. Zum ätzenden Leben der prekären Kreativarbeiter, das sich nicht wenige mit Autosuggestionen schönreden. Zur Rentenpetition haben sie auch nichts gesagt.

Sonntagabend war ich bei einer Diskussionsveranstaltung der guten alten Konkret in Hamburg, Thema: „Wofür brauchen wir die Piratenpartei?“ Und da diskutierten wir so hin und her über Transparenz und Bezirksparlamentsarbeit in Hamburg und es war total parteisoldatige Sprache und am Ende sagte Thomas Ebermann, warum er kein Handy habe – weil der Kapitalismus dadurch in die Freizeit einziehe, es gebe keine Muße mehr. So einfach, so altbacken, so richtig. Kann man natürlich was zu machen, das lieferte Ebermann auch nach: die Unternehmen müssen gezwungen werden, dass sie ihre Mitarbeiter nicht zu Unzeiten stören dürfen. Fertig. Ebermann lachte auch über die Erklärungen der Piraten. Ja, ja, der Berliner Flughafen, ganz schlimm! Dass der jetzt später eröffnet wird und viel teurer wird als geplant – Überraschung! Habe ich auch schon ins Internet geschrieben, dass solche Erklärungen zeigen, wie unrevolutionär die Piraten sind.

Alternativen zum Wowereit’schen Wachstumswahn in Berlin scheint es für die Piraten nicht zu geben. Von den Grünen in Berlin erwarte ich da nichts mehr, die sind kaputt. Aber warum integrieren sich die Piraten nicht mal ein Jahr nach ihrem Einzug in den Berliner Landtag so sehr in das System der Alternativlosigkeit? Wieso soll Berlin denn sein wie London, Paris, Tokio und New York? Gibt es keine anderen Möglichkeiten?

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei Montag Anja Maier Blagen Dienstag Deniz Yücel Besser Mittwoch Matthias Lohre Männer Donnerstag Ambros Waibel Blicke

So ist die Zeit, vieles erscheint alternativlos. Vieles außerhalb des Gewohnten kann anscheinend nicht gedacht werden. Eurokrise, gescheiterter Umweltgipfel, Schuldenberge. Wie können wir frei von Zwängen leben?

Mehr Möglichkeiten wagen! Nicht nur beim Geburtstag.