Stadtgespräch Andrej Ivanji aus Belgrad
: Held versus Kriegsverbrecher: Der Bilderstreit um Ratko Mladić zeigt, dass Serbien seine Geschichte nicht aufgearbeitet hat

Die Njegoševa-Straße im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad ist bekannt für ihre Cafés und Weinstuben für zahlungskräftigere Kunden. Es ist eines der Belgrader Pflaster, wo die allgemeine serbische soziale Misere so weit entfernt ist wie das Leid in Äthiopien.

In den vergangenen Tagen ist das Haus Nummer 38 in der Njegoševa-Straße gegen den Willen seiner Bewohner zum Symbol der nicht aufgearbeiteten serbischen Geschichte geworden, zum Leuchtturm der Auseinandersetzung zwischen Verehrern und Gegnern des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić. Wegen des in den 1990er Jahren verübten Völkermordes in Sreb­renica und Kriegsverbrechen in Bosnien wurde Mladić von dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu lebenslanger Haft verurteilt.

An der Hauswand neben der Eingangstür prangte monatelang ein großes Bild des Generals (siehe Foto auf der Seite rechts), der salutiert. Darunter stand: General, deiner Mutter sei Dank. Zu erkennen war auch das Wappen des FK Partizan Belgrad.

Tag für Tag, Nacht für Nacht gingen Passanten an dem Wandgemälde vorbei. Die große Mehrheit nahm es als Teil der neuserbischen nationalen Folk­lore wahr und dachte sich nichts dabei. Die Hauseinwohner wandten sich an die Belgrader Kommunalpolizei, deren Hauptquartier um die Ecke liegt, doch es geschah nichts. Nur wenige empörten sich, dass serbische Behörden diese Verherrlichung eines verurteilten Kriegsverbrechers dulden. Im Juli 1995 ordnete der Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Truppen Mladić an, rund 8.000 in Srebrenica gefangene muslimische Jungen und Männer zu erschießen. Zuvor hatte er sich filmen lassen, wie er muslimischen Kindern über den Kopf streichelt und ihren Müttern zusichert, dass alles gut werde.

Als die Behörden nichts taten und die Hausbewohner sich nicht trauten, den Pilgerort der Rechtsradikalen anzurühren, kündigten einige Menschenrechtsaktivisten am 9. November, dem internationalen Tag gegen Faschismus und Antisemitismus, Proteste vor dem Mladić-Wandbild an. Die Polizei verbot das aus „Sicherheitsgründen“.

Trotzdem trafen sich in der Njegoševa-Straße einige Aktivisten. Als eine von ihnen, die ehemalige Parlamentsabgeordnete Aida Ćorović, das Wandgemälde mit Eiern bewarf, fielen zwei Polizisten in Zivil über sie her und führten sie und eine ihrer Kolleginnen ab. Innerhalb weniger Minuten riegelte Polizei den Zugang zum Haus Nummer 38 ab. Aida Ćorović wurde bald freigelassen. Grüppchen von Bürgern versammelten sich, um gegen das Wandbild zu protestieren. Rechtsradikale kamen, um ihren General zu verteidigen. Polizisten in voller Kampfmontur trennten die beiden Gruppen voneinander. Währenddessen schlürften Gäste in den Lokalen der Njegoševa-Straße Wein, Bier oder Cocktails.

„Diese Schande heute Nacht ist das Antlitz des Regimes von Aleksandar Vučić. Wir sind Geiseln eines abnormalen, kranken Regimes“, erklärte Aida Ćorović. Sie meinte den alles bestimmenden serbischen Staatschef Vučić.

Vor rund zehn Jahren hatte Vučić, bevor er sich über Nacht in einen prowestlichen Politiker verwandelte, einem Belgrader Boulevard den Namen „General Ratko Mladić“ geben wollen. Während sich Vučić als ein Mann der regionalen Versöhnung gibt, liebäugelt er mit der serbischen nationalistischen, rechtsradikalen Szene, in der er politisch groß geworden ist. Vučić weicht aus, wenn er nach seiner kriegshetzerischen Vergangenheit gefragt wird. Gleichgeschaltete serbische Medien ergehen sich in Geschichtsrevisionismus.

Serbiens Innenminister Aleksandar Vulin meinte, die Polizei hätte auf Befehl des Staatspräsidenten nicht das Wandgemälde geschützt, sondern Recht und Ordnung. So habe Vučić den Aktivisten „die Köpfe gerettet“, denn man wisse, wie eine Prügelei mit den Rechtsradikalen ausgegangen wäre. Er sagte auch, dass ihm persönlich „mehr an Mladić liegt“ als an Aktivisten.

Unterdessen zog sich die Polizei zurück. Ein Politiker schüttete einen Eimer mit Kalk über das Mladić-Bild. Liberale Bürger jubelten, allerdings nur in den sozialen Medien. Danach kamen Rechtsradikale, säuberten das Wandgemälde, sangen „Serbischer Held“ und kündigten an, Wache zu schieben. Fortsetzung folgt.