„Meine Mode soll Frauen helfen“

Im konservativ geprägten Süden des Iraks kämpft die Modedesignerin Inaam Al-Shathir für mehr Unabhängigkeit von Männern. Vor allem aber will sie der irakischen Gesellschaft die Welt der Schönheit näherbringen.

Diyar Raad Salim

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Diyar Raad Salim lebt und arbeitet als Journalistin in Nassirija.

taz: Frau Al-Shathir, das Gouvernement Dhi Qar spielte bislang in der arabischen Modewelt keine Rolle. Wie schwer war es für Sie, das zu ändern?

Inaam Al-Shathir: Die mir entgegenschlagende Ablehnung zu überwinden, das war die größte Herausforderung. Niemand konnte Modedesign etwas Positives abgewinnen. Meine Mutter lehnte es ab, dann mein Ehemann, auch meine Freundinnen – die Gesellschaft insgesamt. Sie haben immer wieder versucht, mich davon abzubringen, aber ihre Versuche waren vergeblich. Der Widerstand meiner Mutter war am schwierigsten für mich. Sie war ja selbst Schneiderin, weigerte sich aber, mir ihr Handwerk beizubringen. Sie tat alles, um mich von der Nähmaschine fernzuhalten, weil sie Angst hatte, ich würde die Schule abbrechen und eine einfache Schneiderin wie sie werden. Sie wusste, was das heißt: Wenig Geld für viel Arbeit. Sie wusste nicht, dass ich keinerlei Ambitionen hatte, diesen Beruf zu ergreifen. Ich wollte nur das Handwerk erlernen, um dann selbst Mode gestalten zu können. Die Einzige, die an mich geglaubt hat, war meine jüngere Schwester.

Heutzutage wird Ihre Mode auf Schauen in der ganzen arabischen Welt gezeigt und Sie bilden Designerinnen aus.

Ja, aber der Weg dorthin war hart. Noch heute tut es mir bei jeder Modenschau weh zu sehen, wie viel Unterstützung Mo­de­de­si­gne­r:in­nen aus anderen Ländern bekommen. Wir Iraker hingegen müssen alle Kosten selbst tragen.

Das heißt, Sie haben sich alles selbst beigebracht?

Genau, ich habe einfach losgelegt und nach und nach aus meinen Erfahrungen gelernt. Natürlich habe ich klein angefangen. Ich habe Kleider zum Spielen genäht – manchmal hat das gut geklappt und manchmal nicht. Ehrlich gesagt, meistens eher nicht. So richtig los ging es erst, als ich bei einem Wettbewerb des irakischen Hauses der Mode den ersten Preis gewonnen habe. Dieser Erfolg hat meine Perspektive auf meine Arbeit nachhaltig verändert. Damals habe ich entschieden, dass ich meine Entwürfe nicht länger verschenken oder für symbolische Preise verkaufen möchte.

Verfolgen Sie, was in der internationalen Modewelt gerade der letzte Schrei ist, um Inspiration für Ihre eigenen Entwürfe zu schöpfen?

Modezeitschriften haben eine wichtige Rolle in meiner künstlerischen Entwicklung gespielt. Insofern könnte man schon sagen, dass ich verfolge, was gerade der letzte Schrei ist. Aber ich habe nie die Ideen von anderen kopiert und werde das auch nie tun. Meine Entwürfe entspringen meiner eigenen Vorstellungswelt und nur die Natur dient mir hier als Vorbild. Wenn ich irgendwohin reise, plane ich immer Zeit ein, um dort in die Natur zu gehen und sie auf mich wirken zu lassen. Wenn mir dann ein bestimmtes Design in den Sinn kommt, mache ich schnell eine Skizze. Diese Skizze setze ich in ein Kleidungsstück um, das dann eines meiner Models trägt. Oder ich ziehe es selbst an.

Glauben Sie, dass die Gesellschaft in der Provinz Dhi Qar ihre konservative Haltung ändern und Modedesign als einen normalen Beruf ansehen kann?

Meiner Meinung nach ist Modedesign kein Beruf, sondern eine Idee. Eine ästhetische Idee, die aus dem Nichts entsteht. Den Frauen im Irak mangelt es nicht an künstlerischer Begabung – aber an Unterstützung, diese Begabung zu entwickeln. Wer aus einem Vorhang ein Abendkleid nähen kann, könnte Wunder an der Nähmaschine vollbringen, wenn es nur nicht am Notwendigsten mangeln würde. Ganz ehrlich: Wir haben genug vom Schattendasein. Die Verantwortlichen müssen verstehen, was für ein Bild des Iraks wir in die Welt tragen können. Von unserer Kultur und unserer Geschichte.

Was für eine Entwicklung erhoffen Sie sich in den nächsten Jahren in Dhi Qar?

„Hier im Süden des Iraks haben wir Talente, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen“

Es ist nicht fair, dass einem Menschen das Leben schwer gemacht wird, nur weil er sich für eine Kunst wie Mode entschieden hat. Nur weil in seinem Land der Krieg Normalzustand ist und alles jenseits der Politik keine Aufmerksamkeit bekommt. Es ist an der Zeit, dass uns die Regierung wahrnimmt, unsere Arbeit anerkennt und sie angemessen unterstützt. Hier im Süden des Iraks haben wir Talente, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen, aber sie brauchen dringend Unterstützung, um sich entwickeln zu können. Es wäre ein Verbrechen, diese künstlerische Begabung verkümmern zu lassen.

Neben Ihrer Arbeit als Modedesignerin haben Sie auch eine Stelle in der Gouvernementsver­waltung, bei der es um Frauenförderung geht. Ist es schwer, das miteinander in Einklang zu bringen?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Diese beiden Arbeitsfelder ergänzen sich, da ich in beiden das gleiche Ziel verfolge. Meine Mode soll Frauen helfen, ein positives Bild von sich zu vermitteln. Und nun versuche ich, sie dadurch zu unterstützen, dass ich Ausbildungsstätten in verschiedenen Bereichen aufbaue. Ich will ihnen vermitteln, dass sie stark sind, und dass sie nicht von Männern abhängig sein müssen. Ich ermutige sie, sich auf sich selbst zu verlassen. „Du selbst kannst dir ein würdiges Leben ermöglichen, dafür brauchst du niemands Hilfe. Du musst nur Mut fassen und diese Entscheidung treffen.“