Eine Geschichte voller Missverständnisse

Nils Ohrmann liebt T-Shirts und die Soziologie. Deshalb hat er über T-Shirts eine Diplomarbeit geschrieben. Ob „Zicke“ oder „Che Guevara“ – die Botschaften auf der Brust gehen ihre eigenen Wege, fand er heraus. Interaktion ist größtenteils Glückssache, heißt es in der Welt der Wissenschaft

von Frauke Adesiyan

Es ist noch kühl, und Nils Ohrmann hat einen grauen Kapuzensweater an. In der einen Hand hält er eine Tasse mit Milchschaumberg, in der anderen sein Handy. Belustigt versichert Ohrmann dem Pressefotografen, er müsse sich nicht entschuldigen. Er sei es doch gar nicht gewohnt, dass sich die Medien um einen Termin mit ihm bemühten.

Seit zehn Jahren ist Ohrmann House-DJ und seit einigen Monaten Diplomsoziologe. Das mediale Interesse gilt seiner Forschung zum Phänomen T-Shirt, die er an der Freien Universität Berlin getrieben hat. In seiner Diplomarbeit untersuchte er Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung anhand von T-Shirts. Oder anders gesagt: Was wollen Menschen mit ihren Shirts mitteilen, und wie wird das von ihrem Gegenüber verstanden. Das Ergebnis dürfte zukünftige T-Shirt-Käufe beeinflussen. Ohrmann sagt es soziologisch mit den Worten des Soziologen Erving Goffman: „Interaktion ist größtenteils Glückssache.“

Wenig Glück hatte ein kämpferischer Zeitgenosse aus Ohrmanns Studie, der mit dem Gesicht von Che Guevara auf der Brust seine linke Grundhaltung ausdrücken wollte. Er wurde als absolut unrevolutionärer Modejunkie wahrgenommen. „Die meisten finden, dass heute jeder Che trägt und das überhaupt gar nichts mehr heißt“, erklärt Ohrmann. Erfreulicher lief es für den Käufer eines roten T-Shirts mit dem Logo einer Segelschule. „Er hatte das Teil im Second-Hand-Laden gekauft, aus Geldnot und weil es einigermaßen akzeptabel aussah“, erzählt Ohrmann grinsend, „da kam ein Mädchen auf ihn zugerannt und freute sich wahnsinnig, endlich mal jemanden von ihrer alten Segelschule zu treffen.“

Neben dem Segler und dem Revolutionär hat Ohrmann noch drei weitere Menschen mit ihrer Baumwollkluft für seine Arbeit fotografiert und zu ihrer Einstellung interviewt. Anschließend sprach er mit zehn Personen über die fotografierten T-Shirts und ihre Besitzer. Das Selbstverständnis der Träger und die Interpretation der Betrachter klafften weit auseinander. Wer mit seiner T-Shirt-Message etwas ausdrücken will, wird missverstanden. Wer nichts ausdrücken will, erst recht.

Der Grund für die Missverständnisse: „Menschen verhalten sich Symbolen gegenüber immer entsprechend der Bedeutung, die sie ihnen zuordnen. Diese Bedeutung ergibt sich aus dem bisherigen Leben des Betrachters.“ Ohrmann bemerkt, wie er in den soziologischen Fachjargon abrutscht, und schiebt schnell hinterher: „Sonst hab’ ich von nichts ’ne Ahnung, nur bei den T-Shirts kenn’ ich mich ein bisschen aus.“

Sein Professor war von der Idee, eine Diplomarbeit über das Kleidungsstück zu schreiben, begeistert. Es gibt keine Vorgängerarbeiten und keine T-Shirt-Theorien. Für Ohrmann ist das Gebiet dennoch allgegenwärtig. „Das ist so ein schönes Thema, weil es nicht nur am Schreibtisch präsent ist.“ Während sich andere Diplomanden über eine gelegentliche Ablenkung von ihren Arbeiten freuen, genoss Ohrmann die ständige Konfrontation mit seinem Untersuchungsgegenstand auf der Straße. „Die Geschichte wurde mit Abschließen der Arbeit immer größer, ich hätte noch Ewigkeiten schreiben können.“ Den besonderen Blick für ausgefallene T-Shirts hat er auch nach seiner Diplomprüfung beibehalten. Meist denkt er sich seinen Teil über schräge Modelle. Wenn er die Träger anspricht, dann nur, weil er wissen will, wo er das Teil kaufen kann.

Die Liebe für ungewöhnliche Oberbekleidung entdeckte der Student lange vor der Liebe zur Soziologie. „Mit 14 war ich totaler Metal-Fan, da habe ich mir immer die ausgefallensten Shirts bestellt.“ Diese Modelle sieht er in letzter Zeit auf den Tanzflächen wieder, wenn er als DJ auflegt. Sie sind ein Modegag in der Technoszene. „Ich hätte die auch gern noch, aber da war Mutter so freundlich zu sagen: ‚Nee, also das ziehst du nicht mehr an.‘ “ Heute ist von dem Metal-Enthusiasten, zumindest auf der Brust, nichts mehr zu sehen. Willig krempelt Ohrmann seinen Pullover hoch, es erscheint eine Schar von winzigen, hell- und dunkelgrünen Eichhörnchen. „Das sagt so ungefähr gar nichts aus“, lächelt Ohrmann, „manchmal hat man eben keine Lust, irgendwas auszudrücken.“

Seine Lieblingsshirts, sowohl zum Anziehen als auch zum Anschauen, sind ironisch und zweideutig. „Je eindeutiger ein Motiv, desto langweiliger. Was sage ich schon aus, wenn auf meinen Shirt steht: ‚I love Bayern München‘? Das interessiert überhaupt niemanden“, sagt Ohrmann energisch. Absolut uninteressant sind für ihn auch die „Zicke“-Trägerinnen: „Wenn eine Frau ‚Zicke‘ auf ihrem T-Shirt stehen hat, ist doch alles gesagt.“ Mehr Chancen haben da schon Frauen, die auf seine eigenen Shirts reagieren. Als er einmal eines der fiktiven „Braindead University“, also der Hirntotuniversität, anhatte, steckte ihm eine Frau einen Aufnahmeantrag zu. „Das fand ich sehr lustig, die hatte es halt verstanden.“

Der T-Shirt-Tick hat ihn zu seiner Diplomarbeit inspiriert und wird von ihm weiterhin liebevoll gepflegt. Er denkt darüber nach, sein eigenes Label zu entwerfen und T-Shirts zum Beruf zu machen. Mit Soziologie hat das dann nicht mehr viel zu tun. „Ich bin kein Theoretiker. Im Büro sitzen und irgendwas messen, das ist auf jeden Fall nicht meins.“ Das neu gewonnene Verständnis, wie die Missverständnisse zwischen Shirtträgern und -betrachtern zustande kommen, wird ihm dennoch helfen. Ein Motiv für eine eigene Produktion schließt er schon jetzt aus. Niemals will er sich selbst auf einem T-Shirt sehen. Kopfschüttelnd sagt er: „Ich krieg’ schon einen roten Kopf, wenn mir drei Leute gleichzeitig zum Geburtstag gratulieren.“

Bis das mit dem eigenen Label was wird, gibt er Interviews als T-Shirt-Experte und wundert sich über das Interesse an seiner Diplomarbeit. Von seinem Professor hat er jedenfalls nur eine Drei bekommen.