Nadine Conti
Provinzhauptstadt
: Mutter am Rande der Weihnachtsruhe

Foto: privat

Nadine Conti ist Nieder­sachsen­korrespondentin in Hannover – und darüber viel glücklicher, als sie es für möglich gehalten hätte.

Verzeihung, ich bin ein wenig abgelenkt. Ich weiß seit ein paar Tagen nicht, ob ich den Kopf nun schütteln oder auf die Tischplatte fallen lassen soll. Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, hat der niedersächsische Ministerpräsident uns hier eine sehr spezielle Art der Weihnachtsruhe verordnet. Die besteht vor allem darin, dass wir zwischen den Jahren nicht in die Disko dürfen. Nun ja. Ich sage es mal so: Damit kann man in meinem Alter ja leben. In Stephan Weils Alter sicher auch.

Was mich wirklich verblüfft, ist, wie man es geschafft hat, in Sachen Schule mal wieder die schlechteste aller Lösungen zu finden: Die Aufhebung der Präsenzpflicht an den letzten drei Tagen vor den Ferien. Eine saubere Nulllösung, ein klassisch sozialdemokratisches Sowohl-als-auch. Ich verstehe das nicht. Was genau soll das bringen? Eine spezielle Form der sozialen Auslese? Wer hyperprivilegiert ist und sich seine Ängste leisten kann, lässt das Kind zuhause und nimmt den psychischen Knacks in Kauf, wer arbeiten muss, keine alternative Betreuung hat und das langsam durchdrehende kleine Wesen nicht schon wieder isolieren möchte, der schickt es hin?

Es gibt wenig, was in dieser Pandemie bei mir so viel Schaden genommen hat wie der letzte Rest von Achtung für dieses Schulsystem. Ich fand das schon als Schülerin nicht besonders gut, als Frau eines Lehrers und Freundin zahlreicher Lehrerinnen nicht besser und als berufstätige Mutter endgültig und restlos scheiße. Erstaunlicherweise gelingt es Niedersachsen dabei sogar, Nordrhein-Westfalen zu toppen und das will wirklich etwas heißen. Da hatten wir immerhin eine Nachmittagsbetreuung an der Grundschule, die den Namen verdient und ein Ganztagsgymnasium, das es trotz künstlerischen Schwerpunktes geschafft hatte, die Digitalisierung nicht vollständig zu verschlafen.

Hier hingegen habe ich ein Gymnasium, das meine Kinder mit Mühund Not dreieinhalb bis fünfeinviertel Zeitstunden am Tag beschäftigt – aber auch nicht immer und schon gar nicht so, dass man sich darauf verlassen kann. Ich bekomme im Schnitt vier E-Mails von Lehrer*innen in der Woche, in denen mir erklärt wird, was ich mit den Kindern üben soll. Und auch die Lernstandserhebung, mit der die Lücken aus der Coronazeit beleuchtet werden sollte, durfte ich selbstverständlich online zuhause durchführen. Genauso wie die daraus resultierenden Förderaufgaben zuhause bearbeitet werden sollen.

Wenn ich richtig darüber nachdenke, ist die Maßnahme „Ist uns doch egal, ob ihr zum Unterricht kommt“ vielleicht doch nur konsequent. Vielleicht hebe ich dafür einfach mal die Schulpflicht auf und unterrichte meine Kinder in Zukunft ganz selbst. Ich hätte sowieso den besseren Lehrplan und wir könnten vorher ausschlafen. Wenn ich mich mit ein paar Nach­ba­r*in­nen zusammen tue, finden sich da sicher auch welche, die all die Dinge können, in denen ich nicht gut bin: Sport, Hauswirtschaft, Technik. Die Naturwissenschaften übernimmt Svetlana, die hat schon Nachhilfe angeboten. Und wir kämen hier im Block locker auf zwölf Fremdsprachen. Jetzt müssen wir nur noch jemanden finden, der uns finanziert. Kann ich diese Unterhaltsregelungen aus den 70ern nochmal sehen?