Schaum am Dirigentenpult

FESTIVALS Neben dem „Musikalischen Sommer Ostfriesland“ gibt es dort nun erstmals auch die „Gezeitenkonzerte“. Hinter den konkurrierenden Klassik-Reihen steckt ein teils turbulenter Streit

Laut Vertrag können beide Seiten „neben oder anstelle“ des Musiksommers ein eigenes Festival gründen

Eigentlich sind sie gar nicht so verschieden, der alte und der neue Konzertchef: Beide sind mit unendlich vielen Musikern befreundet, die sie beide gerne einladen, weil die Gäste es dann für ein bisschen weniger machen, da oben in Ostfriesland. Insofern also sind sie sich ähnlich, der Geiger Wolfram König und der Pianist Matthias Kirschnereit. Persönlich verbindet sie nicht ganz so viel, denn der eine ist – eigentlich wider Willen – Konkurrent des anderen.

Angefangen hat das so: 1983 gab es erstmals den „Musikalischen Sommer Ostfriesland“. Gegründet von Wolfram König, als er dort mal gastierte. Denn er fand, es könne nicht sein, dass so wenig Menschen zum Kammerkonzert kämen. Also hat er Werbung gemacht, noch mehr Konzerte gegeben, und es sprach sich herum: dass es da drei Wochen lang gute Kammermusik in Parks, Höfen, Kirchen gibt. Eine klassische Landpartie, die im vergangenen Jahr 12.000 Zuschauer anzog. Vor ein paar Jahren kam dann noch das Peter-de-Grote-Festival im benachbarten Groningen dazu. Auch damit kooperierte der Musikalische Sommer: für die „Grenzkonzerte“.

Weil das alles zu viel war für einen, holte König 1991 die Ostfriesische Landschaft als Träger ins Boot: Der Höhere Kommunalverband, bestehend aus den Landkreisen Aurich, Leer und Wittmund sowie der Stadt Emden, sollte Förder- und Sponsorengelder beschaffen, Räume und überhaupt die Logistik organisieren. 2011 hieß es plötzlich, der Musikalische Sommer fresse zu viel Geld. Kann nicht sein, dachte König, und ließ sich die Abrechnungen zeigen.

In der Tat habe er Posten entdeckt, die ihm nicht korrekt schienen, sagt er. Er forderte Einsicht in die Bilanzen, „aber es gab keine Reaktion“. Vertraglich sei König nämlich, so Vertreter der Landschaft, „einzig für die künstlerische Leitung zuständig“.

Nun war’s aus mit dem Vertrauen: König forderte die Entlassung des Financiers der Ostfriesischen Landschaft, die weigerte sich – „und nahm das zum Anlass, eine Konkurrenz-Konzertreihe aufzubauen“, erzählt König. Was er zunächst durch eine einstweilige Verfügung verhindert habe.

Die aber kassierten die Gerichte im März 2012. Grund: Im Kooperationsvertrag heißt es, beide Seiten könnten „neben oder anstelle“ des Musiksommers ein eigenes Festival gründen. Das könne nicht sein, findet wiederum König: Idee, Titel und Termin des „Musikalischen Sommers Ostfriesland“ – alles seins.

Tatsächlich war wohl zunächst an ein parallel abzuhaltendes, gleichnamiges Festival gedacht worden, das aber inzwischen vom Tisch ist. Das neue Festival, das sich die Ostfriesische Landschaft ausdachte, heißt „Gezeitenkonzerte“, hat am Donnerstag begonnen und dauert noch bis zum 7. September – „Das haben wir getan, um Herrn König nicht in die Quere zu kommen“, sagt Dirk Lübben von der Ostfriesischen Landschaft: Königs „Musikalischer Sommer“ läuft vom 22. Juli bis Mitte August.

Die Klage, so König, laufe im Hauptverfahren noch. Es gehe unter anderem um unlauteren Wettbewerb. Rolf Bärenfänger, Direktor der Ostfriesischen Landschaft, sagt dagegen, König wolle den Verband zwingen, auch den diesjährigen Musiksommer noch zu betreuen. „Das ist Unsinn, die wollen das doch gar nicht“, erwidert König. „Wir stemmen das diesmal allein.“

Ansonsten viel Schweigen: Gerade mal, dass die „Gezeitenkonzerte“-Planung seit April laufe, lässt die Landschaft wissen. Das Budget aber, sagt Bärenfänger, „haben wir noch nicht ausgerechnet“. Irgendwelche Zahlen wird er dem Chef des neuen Festivals, dem eingangs erwähnten Martin Kirschnereit, aber genannt haben – sonst wäre der wohl nicht angetreten.

Eine schlechte Wahl ist der renommierte Pianist nicht: seit 1997 Professor an der Hochschule für Musik und Theater Rostock und bekannt mit vielen Musikern – und zwar berühmteren, als König sie aufbieten kann. In dieser Hinsicht also könnte Kirschnereit König durchaus den Rang ablaufen.

Dagegen verwahrt sich Kirschnereit, der eigentlich gar nicht in den Streit hineingezogen werden will, vehement: Er wolle keine Konkurrenz, sondern Bereicherung bieten, und es überschnitten sich ja auch nur drei Konzerte, sagt er. Den Titel der neuen Reihe habe er sich übrigens selbst ausgedacht. „Gezeiten – das klingt provokant und stürmisch einerseits. Sanft und in sich gekehrt andererseits“, sagt er. „Kontrastreich eben.“ Wie des Festivals Vorgeschichte.  PS