„Die zweite und dritte Reihe im Blick haben“

Musikwissenschaftler Jacob Sello über Musik von Profis und Amateuren

Foto: privat

Jacob Sello45, studierte Multimediale Komposition und Systematische Musikwissenschaft und ist Leiter des Innovationslabors der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

Interview Darijana Hahn

taz: Herr Sello, was verstehen Sie als Musikexperte unter Amateurmusik?

Jacob Sello: Profi und Amateur – das ist eine Unterscheidung, die sehr schwierig ist. Ich würde mal sagen, ein Profi ist der, der von seiner Musik leben kann. Was aber keine Aussage über die Qualität bedeuten muss.

Die Hochschule für Musik und Theater arbeitet ja auch in Projekten mit Amateuren zusammen, zum Beispiel bei der 2019 stattgefundenen Elbtunnelsymphonie. Warum?

Wir wollten eine Musik ohne Zugangsbeschränkung. Und außerdem kann man bei experimentellen Sachen oft entspannter mit Leuten arbeiten, die das nicht für Geld tun und entsprechend nicht auf die Uhr gucken müssen.

Das ist ein gutes Stichwort: Ist Amateurmusik also reines Hobby, das keiner Förderung bedarf?

Im Gegenteil. Musik hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Musik schafft so unglaublich viel Ausgleich, dass ich mir eine große Unterstützung in dem Sektor wünsche. Umso mehr jetzt in dieser schwierigen Zeit.

Unterstützung in welcher Hinsicht?

Die Kulturbehörde sollte einen Blick darauf haben, dass die zweite und dritte Reihe in der Stadt lebendig bleibt. Bei geschlossenen Bühnen und Clubs besteht die Gefahr, dass die Aktiven ihre Prioritäten anders setzen und damit wichtige Subkultur verloren geht.

Podiums­diskussion „Kulturforum Hamburg. Amateurmusik – Privatsache oder Gesellschaftliche Aufgabe?“: heute, 19.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel, 2G+

Was erwarten Sie von der Diskussionsveranstaltung Amateurmusik – Privatsache oder gesellschaftliche Aufgabe?

Durch sie wird ein Bewusstsein dafür geschaffen, welch große Aufgabe diese amateurhaften, also nicht primär durch finanzielle Interessen motivierten Bereiche erfüllen. Auch wenn die coronabedingten Einschränkungen in diesem Bereich nicht zu signifikanten Steuerausfällen geführt haben, so sind gesellschaftliche Ausfälle die Folgen, wenn es sie nicht gibt.

Ja, das führt zurück an den Anfang, als Sie sagten, dass Musik so viel Ausgleich schaffe.

Genau. Musik vor Publikum zu machen und live zu erleben ist Freude, Entspannung und Inspiration und damit immer auch wichtig für die gesamte Gesellschaft – unabhängig vom Amateur- oder Profistatus. Und sowieso: wie könnte es Profis ohne die Amateure geben? Ohne dass sie dort ihre Erfahrungen sammelten, sei es in der Schüler-Big-Band, im Nachbarschaftschor oder als DJ in der Kiez-Kneipe?