Nur ein kleines Opfer

Guerilla-Marketing: Amerikanerin verkauft ihre Stirn als tätowierte Dauerwerbefläche

Bezahlte Werbung an Stelle von Artikeln wie diesem hier hätte 30 Millionen Euro gekostet

Sieben Stunden lang versuchte Tätowierer Don Brouse die Frau von ihrem Vorhaben abzubringen. Er redete auf sie ein, versuchte sie sanft davon zu überzeugen, dass sie nicht ihr weiteres Leben mit dem Schriftzug GOLDENPALACE.COM auf der Stirn herumlaufen könne. Es nutzte alles nichts. Schließlich nahm er den seltsamen Auftrag an und ritzte ihr die je 2,5 Zentimeter großen Buchstaben direkt unter den Haaransatz, damit sie wenigstens von einem Haarband oder einem Hut verdeckt werden können.

„Von allen Opfern, die jeder macht, ist dies ein kleines“, meinte Karolyne Smith. „Ein kleines Opfer für eine bessere Zukunft meines Sohnes.“ Auf den ersten Blick sei die Aktion vielleicht eine Riesendummheit. „Aber für mich sind 10.000 Dollar so viel wie eine Million. Ich lebe nur einmal, und ich mache es für meinen Sohn.“ Mit ihrem Freund Jeremy hatte die 30-jährige Mutter aus Salt Lake City die Aktion vorher diskutiert. Wochenlang und immer wieder. Anfangs war er dagegen, aber dann willigte er ein. Schließlich will Karolyne ihren elfjährigen Sohn auf eine bessere Schule schicken. Die kostet Geld. Und sie mag es, wenn sich die Leute auf der Straße und in der Disko nach ihr umdrehen.

Sie hatte von den beiden Frauen gehört, die ihr üppiges Dekolletee als Werbefläche vermieten („your advert here“). Für 30 Tage, dann werden Firmenlogos und Werbeslogans wieder abgewaschen. Das bringt 500 Dollar – zu wenig für die Privatschule. Dann las sie im Internet von Brent Moffatt, „The Human Pincushion“. Das am ganzen Körper gepiercte und tätowierte menschliche Nadelkissen hatte beim Internet-Auktionshaus eBay seine Stirn als Dauerwerbefläche angeboten – und prompt verkauft. So was wollte sie auch. Mehr noch: Sie wollte die allererste Frau mit Körperwerbung für die Ewigkeit sein. Das würde garantiert sofort die Medien in Scharen anlocken, und schließlich entspricht genau das dem Trend der Zeit. Völlig richtig: Stets der Zeit voraus, wie die Wahrheit nun mal ist, berichteten wir bereits vor mehr als einem Jahr über neue Möglichkeiten zur Deckung des Finanzbedarfs (Die Wahrheit vom 22. 4. 2004, „Bringt Geld: Tätowierter Litfaßbody“).

Mit einem Startpreis von 99 US-Cent stellte Karolyne Smith ihre Offerte bei eBay ins Netz – und wartete ab. Offenbar ganz kribbelig, denn mehrmals am Tag sah sie nach, wie viele Leute sich die Seite bislang angeguckt und wie viele auf „Beobachten“ geklickt hatten – eine eBay-Einrichtung zum schnellen Wiederfinden, ohne selbst mitbieten zu müssen. Jedes Mal schrieb sie einen kleinen enthusiastischen Kommentar auf die Seite. Nach zwei Tagen war Karolyne ganz aus dem Häuschen: „Heiliger Batman Robin, ich fasse es nicht. Schon 2.000-mal wurde die Seite angeklickt.“ Als dann der amerikanische Fernsehsender CBS in den Zehn-Uhr-Nachrichten über die Auktion berichtete und Karolyne im Fernsehen war, brachen die Klickzahlen sämtliche eBay-Rekorde, und die Angebote überschlugen sich.

Doch Karolyne hatte einen Fehler gemacht. Unabhängig vom Startpreis legte sie einen versteckten „Mindestpreis“ von 10.000 Dollar fest. Für weniger wollte sie sich ihre Stirn nicht verunstalten lassen. Das Mindestgebot hätte zehnmal höher sein können, denn als die Auktion so richtig in Fahrt kam und am Ende 52 Bieter um Karolynes Stirn kämpften, holte sich das Online-Kasino GoldenPalace zu genau diesem Preis den Zuschlag mit der „Sofort kaufen“-Option. Das Kasino hat in der Vergangenheit schon öfter utopische Summen für spektakuläre PR-Aktionen hingeblättert: für Ratzingers alten Golf, den Schwangerschaftstest von Britney Spears – oder den Flitzer, der während des Confed-Cups mit einem GoldenPalace-T-Shirt über den Fußballplatz lief.

Doch dies nun ist etwas anderes. Eine Tätowierung auf der Stirn ist endgültig und lässt sich nie und nimmer entfernen. GoldenPalace-Chef Richard Rowe schien dann auch ein wenig das schlechte Gewissen geplagt zu haben, denn er legte freiwillig noch mal 5.000 Dollar drauf. Dennoch ist der Kasinochef von der Aktion begeistert: „Ich denke, dass diese Art der Werbung enorme Zukunft hat. Inmitten all des Werbemülls, mit dem man jede Sekunde des Tages konfrontiert ist, kriegt man so die Aufmerksamkeit der Leute.“ Bei „Stern TV“ erklärte er, dass GoldenPalace durch solche Formen des so genannten Guerilla-Marketings eine weltweite Bekanntheit erreicht habe, für die er sonst wohl 30 Millionen Euro hätte investieren müssen.

Es ist zu erwarten, dass sich der neue US-Werbetrend auch hierzulande durchsetzt. Damit nimmt die „fortschreitende Beschriftung der Bevölkerung“ (Max Goldt) endgültig bedrohliche Ausmaße an. Kunden mit adidas-, Nike- oder taz-Aufdrucken ist man ja seit langem gewohnt. Aber ein Reklame-Brandzeichen auf der Stirn, das ist eine neue Qualität. DIETER GRÖNLING