„Im Prinzip organisier’ ich ja nur“

Justiz Corinna Hartmann ist seit elf Jahren Sekretärin der Pressestelle der Senatsverwaltung für Justiz. Es gab Zeiten, in denen die Fachkraft für Schreibtechnik den Laden ganz alleine geschmissen hat – sie gilt als heimliche Chefin. Nun wechselt sie ans Amtsgericht Pankow

■ 40, ist gebürtige Berlinerin. Sie wuchs zu DDR-Zeiten in Friedrichshain und Marzahn auf. Von 1987 bis 1989 absolvierte sie eine Lehre als Facharbeiterin für Schreibkraft. 1991 fing sie als Bürokraft in der Senatsverwaltung für Justiz an. Seit 2001 ist sie Sekretärin der Pressestelle. Nun wechselt sie ans Amtsgericht Pankow/Weißensee.

VON PLUTONIA PLARRE

taz: Frau Hartmann, was ist Ihre genaue Berufsbezeichnung?

Corinna Hartmann: Gelernt habe ich Facharbeiter für Schreibtechnik (lacht). Ich spreche Berlinerisch, okay? Ich kann kann nämlich kein Hochdeutsch. (Sie spricht im ganzen Interview Berliner Dialekt.) Also mein Stellenzeichen ist SenPressSekr: Sekretärin und Sachbearbeiterin im Pressereferat der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz.

Ist das nicht ein bisschen tiefgestapelt? Schließlich gelten Sie als die heimliche Chefin des Ladens.

Das sagt hier das ganze Haus. Ich freue mich, wenn das so gesehen wird, weil durch mich Verlässlichkeit da ist. Das war ja mitunter ein ständiger Wechsel, die Pressesprecher sind nach einem Vierteljahr immer wieder gegangen.

In elf Jahren haben Sie 14 Pressesprecherinnen und -sprecher kommen und gehen sehen. Wie erklären Sie sich diesen Verschleiß?

Verschleiß würde ich das nicht nennen. Die haben Angebote bekommen und die Stelle als Sprungbrett genutzt.

Wie viele Justizsenatorinnen und Justizsenatoren haben Sie erlebt?

Angefangen habe ich, da war Eberhard Diepgen gleichzeitig Regierender Bürgermeister und Justizsenator. Dann kamen Wolfgang Wieland, Karin Schubert, Gisela von der Aue, Michael Braun und jetzt Thomas Heilmann. Sechs sind das.

Welcher Justizsenator ist Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben?

Im Prinzip organisier’ ich ja nur die Pressestelle. Deswegen habe ich Diepgen nie persönlich kennengelernt. Wieland war große Klasse. Durch die ganze Berliner Justiz ist ein Ruck gegangen, als der kam.

Dabei war Wolfgang Wieland (Grüne) 2001 nur ein halbes Jahr im Amt.

Aber er war ein Rechtspolitiker vom Feinsten. Der hat das Haus mit einer Ruhe und Besonnenheit geführt! Als er sich verabschiedet hat, gab es Standing Ovations. Das habe ich nie wieder erlebt.

Was ist das Wichtigste in Ihrem Job?

Ruhe bewahren, politisches Interesse haben. Man muss die Zeitungen auswerten und erkennen, worauf es ankommt, woraus sich vielleicht was Größeres entwickeln könnte. Das klappt nicht immer, man wird mit der Zeit doch ein bisschen „justizblind“. Inwiefern hat sich die Berichterstattung in den letzten Jahren verändert?

Jedes Medium will das erste sein, aber das ist nicht das Problem. Bestimmte Geschichten werden so hochgekocht und reißerisch aufgezogen, dass ich mir manchmal an die Stirn fasse. Man könnte meinen, an jeder Ecke in Berlin kriegt man gleich einen Hammer auf den Kopf. Und den Quatsch, den die einen mitunter schreiben, schreiben andere ab.

Haben Sie ein Bespiel parat?

Im Fall des Jugendlichen Torben P. …

dem sogenannten U-Bahn-Schläger …

… haben viele Medien geschrieben, er habe Haftverschonung bekommen, weil sein Vater Jurist ist. Nach dem Motto: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Das stimmte überhaupt nicht. Beide Eltern waren Frührentner. Der Vater war nie bei der Justiz. Dass Torben P. nicht in U-Haft kam, hatte rechtliche Gründe: Es bestand keine Fluchtgefahr.

Was sind Journalisten für Sie?

In erster Linie sind das unsere Kunden. Gleich, welcher politischen Couleur die Zeitungen sind – ob Springer, Neues Deutschland oder taz – alle werden gleich behandelt. Bei uns rufen aber auch viele Bürger an. Unsere Nummer ist ja auf den ersten Blick auf unserer Internetseite die einzige, die von außen frei erreichbar ist. Wenn man 90 13-0 wählt …

die Zentrale der Senatsverwaltung für Justiz …

… dann hängt man 100.000 Jahre in der Leitung und keiner geht ran. Da herrscht wahrscheinlich wie überall Personalmangel. Also rufen die Bürger bei uns in der Pressestelle an: Wo kann ich meinen Erbschein beantragen? Wie komme ich zum Amtsgericht? Und so weiter und so weiter. Wir dürfen keine Rechtsauskünfte geben, aber natürlich kenne ich die Zuständigkeiten in der Verwaltung, die die Bevölkerung nicht kennt. Notfalls erkundige ich mich und rufe die Leute zurück, weil ich weiß: Wenn der Bürger erst mal in der Verwaltung hängt, dann hängt er.

Das heißt, die Berliner Verwaltung hat ein Kontaktdefizit?

Auf jeden Fall. Die Gespräche fangen oft so an: Frau Hartmann, schön, dass Sie dran sind, ich bin jetzt schon an die fünfte Stelle verwiesen worden. Das tut mir schon leid.

Wie gut können Sie tippen?

Als ich meine Prüfung zum Facharbeiter für Schreibtechnik gemacht habe, habe ich 3.400 Anschläge in zehn Minuten geschafft, mit fünf Tippfehlern. Das war zu DDR-Zeiten. Das war kein Sehr gut, aber ein Gut. Als ich mich 1991 bei der Justizverwaltung beworben habe, hatte ich 3.295 Anschläge mit sechs Fehlern. Mir war schon janz schlecht. Bei einer Prüfung wäre das nur eine Drei gewesen. Aber in der Justizverwaltung hat man gesagt: „Spitzenkraft. Wir stellen Sie sofort ein.“

Das war unmittelbar nach der Wende. Sie haben damals in der Personalabteilung der Justizverwaltung angefangen.

Die haben händeringend Schreibkräfte gesucht, weil der ganze Aufbau Ost im Justizbereich geleistet werden musste. Die Einrichtung der Strafverfolgungsbehörde für die Vereinigungs- und Regierungskriminalität kam dazu. Die Gerichte mussten umorganisiert werden. Der größte Teil meiner Arbeit betraf die Mitarbeit bei der Überprüfung der Richter und Staatsanwälte aus dem Osten. Die sind ja alle entlassen worden und mussten sich dann neu bewerben. Das war eine spannende Zeit.

Was sind Sie für ein Mensch?

Ich bin eigentlich ein fröhlicher Mensch. In erster Linie verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl. Mein Leben ist eigentlich gut verlaufen. Gerade auch hier mit dem Job, das muss ich ehrlich sagen. Aufgrund des großen Arbeitsanfalls nach der Wende wurden ja fast nur Ostler eingestellt, weil wir das Schreiben wirklich gelernt hatten. Die meisten Schreibkräfte, die hier waren, haben irgendwie ein bisschen rumgetippt. Mal ein Briefchen, so wie das vorher zu Westberliner Zeiten eben war. Viel Personal und eigentlich wenig Arbeit.

Hatten Sie juristische Vorkenntnisse?

Ich hatte von Justiz überhaupt keine Ahnung, als ich da angefangen habe. Ich wusste noch nicht mal, was eine Senatsverwaltung für Justiz ist – dass das das Justizministerium ist. Das hat mir erst eine Freundin erklärt, die sich auch auf die Stellenausschreibung in der Berliner Zeitung beworben hatte. Das war Wahnsinn, was da an Arbeit auf uns zukam. Ich bin über Aktenberge gestiegen, das ganze Büro war voll. Jeder hat von oben was weggenommen, die untere Akte lag da wahrscheinlich schon ein Jahr.

Wie wurden Sie als Ostlerin aufgenommen?

Die haben uns sehr gut aufgenommen. Mein Problem war nur, dass ich mich am Anfang überhaupt nicht getraut habe, mich zu äußern, weil die alle ganz fürchterlich Hochdeutsch gesprochen haben hier. Das war im Westteil verpönt, glaube ich, Berlinerisch zu sprechen. Damit hat man sich als Ostler verraten. Nicht im Kollegenkreis, aber ich habe es kaum gewagt, mit den Vorgesetzten zu sprechen. Mit den Jahren habe ich dann Selbstbewusstsein bekommen. Ich habe gemerkt, dass das überhaupt nicht schlimm ist. Die Leute finden es mitunter sogar lustig. Man ist nun mal Berliner. Ich muss mich nicht verstecken. Ich hab’s versucht, aber ich kann nicht anders.

Bei Ihnen zu Hause wurde immer berlinert?

Ja. Mutter Berlinerin, Oma Berlinerin. Das war ganz normales Berliner Milieu.

Warum hören Sie jetzt eigentlich auf?

Der Fahrtweg war entscheidend. Mein Mann und ich haben in Zepernick gebaut, 2000 sind wir dahin gezogen. Da war unser Sohn gerade ein Jahr alt. Häuschen mit Garten, schön lauschig. Im Normalfall brauche ich von zu Hause zur Arbeit mehr als eine Stunde. Ich fahre immer mit der S-Bahn. Es ist schon vorgekommen, dass ich fast drei Stunden in der Bahn gesessen habe und morgens um zehn auf Arbeit angekommen bin.

Quittieren Sie den Job etwa, weil die S-Bahn so unzuverlässig ist?

Nee (lacht). Wenn Kabelklau ist, was kann die S-Bahn dafür? Wegen der hohen Spritpreise wird es immer voller und enger. Aber es stimmt schon: Jetzt fährt die Bahn auch noch verkürzt. Eigentlich ist der Grund: Ich habe mehr Zeit für die Familie und für mich. Vom Amtsgericht Pankow/Weißensee, wo ich demnächst arbeite, habe ich nur noch einen Fahrtweg von einer halben Stunde. Damit spare ich im Monat mindestens 30 Stunden. In der Justizpressestelle kann man ja auch nie genau absehen, wann man nach Hause kommt. In der Ära von Michael Braun beispielsweise war es ganz schlimm. Da gab es bis zwei Tage vor seinem Rücktritt gar keinen Pressesprecher. Die Tage waren ziemlich lang.

Braun (CDU) war mit nur elf Tagen kürzer als alle anderen Senatoren im Amt. Er stand unter öffentlichem Beschuss, weil er als Notar Geschäfte mit Schrottimmobilien beglaubigt hat. In dieser Zeit haben Sie die Justizpressestelle ganz alleine geschmissen?

Viel konnte ich gar nicht schmeißen. Die Journalisten hatten Brauns Handynummer und haben sich größtenteils direkt an ihn gewandt. Man hätte einen Pressesprecher gebraucht, der gesagt hätte: „Bis hierhin und nicht weiter.“

Hatten Sie mit Braun Mitleid?

Ja. Der hat mir unwahrscheinlich leid getan.

Und das ist jetzt alles vorbei. Haben Sie keine Angst, dass es Ihnen am Amtsgericht Pankow langweilig wird?

Mir ist das alles noch gar nicht richtig bewusst. Am 20. Juni gebe ich meinen Ausstand. An dem Tag breche ich bestimmt weinend zusammen. Abschied nehmen fällt mir verdammt schwer, deswegen verdräng ich das wahrscheinlich. Aber wenn ich in Pankow/Weißensee bin, werde ich mir nach Feierabend eine schöne Zeit machen. Um fünfe werd ick uff de Terrasse sitzen und Käffchen trinken.