kritisch gesehen
: Ein Widerstand, der auferstand

Sich hinsetzen müssen, aufstehen und wieder setzen – oder doch einfach stehen bleiben, sich also widersetzen? Dieses Sprachspiel um Anweisungen von der Bühne ist so simpel wie folgenschwer. Wer im Theaterpublikum lässt sich schon gern herumkommandieren? Immerhin zwei Schüler machen mit, stehen folgsam auf, setzen sich wieder. Aber – Widerstand? Kann man dem Befehl gehorchen, nicht zu gehorchen?

Ohne solche Fragen wirklich auszusprechen, haben Regisseurin Antje Pfundtner und das Bremer Moks-Ensemble eine formal wie inhaltlich bemerkenswert offene Produktion erschaffen. Über Choreografie und Sprachspiel soll ein Publikum ab 12 Jahren Möglichkeiten erkennen, ergreifen oder ausschlagen. Ganz so abstrakt wie die lose verbundenen Szenen zunächst scheinen, ist „Open Call“ allerdings nicht: Auch jugendlichem Publikum wird schnell klar, worum es geht; wenn etwa einer ausgeschlossen wird, oder eine keine Lust mehr aufs Mitmachen hat. Das Stück bleibt nah am Geschehen, überlässt die Reflexionsebene dem Publikum. Mitunter wirft das erstaunlich poetische Bilder ab. Als etwa Judith Goldberg mit der Hebebühne aufwärts fährt und einen meterlangen Pelzteppich wie eine Schärpe vom Boden her aufspannt: eine majestätische Figur, steigt auf und erlangt gerade durch symbolisches Klebenbleiben am Boden surreale Erhabenheit … Oder ist das Unsinn eines auf Machtfragen abonnierten Kritikers? Jedenfalls eine Möglichkeit, und um die geht es hier ja.

Dass die Offenheit nicht ins Beliebige kippt, ist Pfundtners konsistenter Choreografie zu verdanken und den Akteurinnen, die eindrücklich ihre jeweiligen Einzelgänge spielen, sich aber immer wieder auch miteinander ins Verhältnis setzen: Sie tanzen mit ausgestreckten Armen, lernen sie als Abstandhalter kennen; als Hindernis beim Klettern in eine enge Holzbox; als Mittel abstrakter Formgebung. Aber eben auch als Wegweiser zu den anderen, auf die man zeigt, die man berühren kann, umarmen. Yvonne Marcour hat ihre Bühne mit allerlei Requisiten bestückt: Ballkanonen, Musikinstrumente oder knisternde Plattenspieler. Die Maschinenwelt, ihre Chancen und Zumutungen stiften den zweiten Zusammenhang der Produktion.

In „Open Call“ greifen Darstellerphysis, Ausstattung und Thema dermaßen vielschichtig ineinander, dass es auch bei freiestem Assoziieren kaum möglich ist, sich zu verirren. Auch für 12-Jährige nicht, deren Diskussionen auf dem Weg nach draußen klingen, als nähmen sie auch mitunter gewollte Überforderungen größtenteils sportlich. Jan-Paul Koopmann

„Open Call“: wieder am Sa, 12. 3., 19 Uhr, Theater Bremen, Brauhaus