Die Zugvögel

Auslandspraktika sind kein Privileg nur für die, die es sich leisten können. Die „Zugvögel“ holen Jugendliche aus sogenannten Entwicklungsländern nach Deutschland

von Jonas Weyrosta

Gabriela Valenzuela hilft in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung aus. Sie hilft bei der Körperpflege, Essensaufnahme und assistiert beim Einkauf und der Freizeitgestaltung. Der Wechsel der Jahreszeiten in Deutschland sei toll, sagt Gabriela Valenzuela. Sie ist begeistert von den unterschiedlichen Farben, die der Frühling in die Landschaft streut, und dem kulturellen Angebot ihrer neuen Heimat Berlin.

Die 24-jährige Psychologiestudentin kommt aus Ecuador und tut das, was Tausende deutscher Freiwilliger in ihrer Heimat und anderen Ländern der Welt machen können – arbeiten, um ein Land besser kennenzulernen und ein Gefühl für die Welt zu bekommen. Gabriela Valenzuela lernte vor einigen Monaten in Ecuador einen Freiwilligen aus Deutschland kennen. „Ich fand es toll, dass er einfach so und ohne Ausbildung an tollen Projekten mitarbeiten konnte; das wollte ich auch.“ Anfang Februar dieses Jahres kam sie mit dem Projekt Zugvögel nach Deutschland.

Der Verein „Zugvögel – Interkultureller Süd-Nord-Austausch“ kehrt den Freiwilligendienst um. Nicht Deutsche sind in sogenannten Entwicklungsländern unterwegs, sondern Menschen aus Entwicklungsländern lernen Deutschland kennen und arbeiten hier. Im Januar 2012 kamen die ersten und bisher einzigen beiden Reisenden in Deutschland an – Gabriela Valenzuela und Mauro Brito Romero aus Ecuador.

„In Ecuador denken wir fast immer, dass alles gut ist in Europa, dass es hier keine Armut gibt, keine Ungerechtigkeit, keine Ungleichheit.“ Das Deutschlandbild von Mauro hat sich in den ersten fünf Monaten bereits grundlegend verändert. Der 23-Jährige, ein Touristenführer aus Baeza im ecuadorianischen Regenwald, arbeitet derzeit auf einem Biobauernhof in der Lüneburger Heide. Niemals hatte er sich vorstellen können, dass es auch in Deutschland Menschen gibt, die auf der Straße leben, sagt er. Bis er sie mit eigenen Augen gesehen hat.

Der Verein Zugvögel ist aus dem Angebot des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „weltwärts“ entstanden – des Freiwilligendiensts des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der ins Leben gerufen wurde, um jungen Menschen von 18 bis 28 Jahren zu ermöglichen, sich entwicklungspolitisch im Ausland zu engagieren. Seit 2008 zogen mehr als 10.000 deutsche Jugendliche mit „weltwärts“ in die Welt hinaus, um in kulturellen und sozialen Projekten, Schulen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und Umweltschutzorganisationen mitzuarbeiten – von Namibia bis in die Mongolei, von Ghana bis nach Vietnam.

„Weltwärts“ hatte sich von Anfang an den „Dialog auf Augenhöhe“ auf die Fahnen geschrieben und sich mit dem Wunsch nach interkultureller Verständigung hohe Ziele gesetzt. Doch bis heute bleibt das Eindringen in fremde Kulturen, die Arbeit in einem Land fernab der Heimat das Privileg der deutschen Jugendlichen. „Weltwärts“ wurde zur kulturellen Einbahnstraße. Die Zugvögel möchten leisten, was vonseiten des BMZ bisher versäumt wurde: die Privilegien zwischen den Partnerländern abbauen und auch Freiwilligen aus sogenannten Entwicklungsländern einen Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Mehr als achtzig zurückgekehrte „weltwärts“-Teilnehmer haben sich dem Verein bereits angeschlossen.

Der Verein ist organisiert in Regionalgruppen in ganz Deutschland, um den engagierten Weltenbummlern als Ansprechpartner und Mentor zur Seite zu stehen. In Baden-Württemberg sitzen die Zugvögel in Ulm, Karlsruhe, Stuttgart, Freiburg und Mannheim/Heidelberg.

Die Zugvögel möchten den Süd-Nord-Austausch weiter ausbauen, im nächsten Jahr. Gesucht werden Arbeitsplätze für Jugendliche aus Ruanda, Uganda, Nepal und Ecuador. Ebenfalls Familien, bei denen die Gäste untergebracht werden können, um besseren Anschluss zu finden.

„Es sieht gut aus“, berichtet Lukas Perka, Initiator der Zugvögel und Mitarbeiter der Regionalgruppe Münster, doch es geht um viel Geld. Ob das BMZ sich an der Initiative beteiligt, steht noch nicht fest. Kürzlich hatte Ute Koczy, die entwicklungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, eine kleine Anfrage zum „weltwärts“-Projekt an die Bundesregierung gerichtet, in der sie sich unter anderem auch erkundigte, ob die Bundesregierung ihren Freiwilligendienst ausbauen möchte, um einen Weg aus der Sackgasse zu finden. Die Antwort: Man habe sechs Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich auch um sogenannte Reverse-Programme kümmern sollen.

Aber Koczy hegt Zweifel an der Reformierung des Freiwilligendienstes durch das BMZ: „In dieser Legislaturperiode glaube ich nicht an ein Reverseprogramm.“ Sie sieht keine Bereitschaft der Regierung, für die entstehenden Kosten und die Verantwortung aufzukommen. „Weltwärts“ habe durch die Einseitigkeit eindeutig Schlagseite, es sei schade, dass nicht einmal erste Versuche unternommen werden, das zu ändern.

Ein Austausch kostet zwischen 4.000 und 6.000 Euro im Jahr, inklusive Flugticket und monatlichem Taschengeld. Bislang finanziert sich die Arbeit der Zugvögel nur über private Spenden.

Für die Auswahl der Teilnehmer zählen die Zugvögel in Zukunft auf Partnerorganisationen vor Ort. Um dem Vorwurf des „Abituriententourismus“ aus dem Weg zu gehen und Privilegien zu vermeiden, soll in Zukunft besonders Wert auf ein heterogenes Teilnehmerfeld gelegt werden.

Es dürfe nicht sein, dass deutsche Jugendliche in andere Länder reisen dürfen und dort verschiedene Projekte, Menschen und Ideen kennenlernen, während den Jugendlichen dort eine ebenso wertvolle Erfahrung verwehrt bleibe, sagt Niko Schalk, einer der Mitbegründer der Zugvögel. Eine Anbindung der Zugvögel-Arbeit an den Bundesfreiwilligendienst in Deutschland bietet den Vorteil der pädagogischen Begleitung, Sprachkurse und besserer Chancen bei Visumangelegenheiten. Das BMZ wurde bereits auf sie aufmerksam und diskutiert derzeit in einer Arbeitsgruppe mit Regierungsvertretern und zivilgesellschaftlichen Akteuren eine beidseitige Ausgestaltung des „weltwärts“-Programms.

Für Zugvögel gebe es keine Grenzen, sagt Schalk: „Wir fliegen durch die ganze Welt.“

Mehr Infos unter www.zugvoegel.org