Die Früchte von 20 Jahren Arbeit

KOMMUNEN Neuss hat nach Saarbrücken als zweite deutsche Stadt den Titel Fairtrade Town erhalten. Politik, Gewerbe und Bürger sollten an einem Strang ziehen, um die Kriterien für diese Auszeichnung zu erfüllen

Fünf Kriterien müssen erfüllt sein, damit die Bewerbung der jeweiligen Gemeinde oder Stadt von der unabhängigen Siegelinitiative Transfair geprüft und der Titel Fairtade Town für zunächst zwei Jahre vergeben werden kann. Nach Ablauf dieser Zeitspanne erfolgt eine Überprüfung, ob die Kriterien auch weiterhin noch erfüllt sind. Die Kriterien im Einzelnen:

■ Vorlage eines Ratsbeschlusses zur Verwendung von Fairtrade-Produkten in öffentlichen Sitzungen (neben Kaffee etwa Tee, Orangensaft, Zucker, Honig, Kekse, Schokolade, Kakao).

■ Bildung einer Steuerungsgruppe aus Vertretern verschiedener Zielgruppen (unter anderem städtische Verwaltung, Einzelhandel und Eine-Welt-Initiative).

■ Verfügbarkeit von Fairtrade-Waren im Einzelhandel und in der Gastronomie (nach Einwohnerzahl gestuft, etwa mindestens ein Geschäft sowie ein Café oder Restaurant bei einer Einwohnerzahl bis 2.500; bei bis zu 160.000 Einwohnern mindestens 26 Geschäfte sowie 13 Cafés oder Restaurants).

■ Verwendung von Fairtrade-Produkten in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Vereinen und Kirchen (bei einer Einwohnerzahl unter 200.000 muss jeweils eine Schule, ein Verein und eine Kirche gewonnen werden. Bei über 200.000 Einwohnern sind es jeweils zwei).

■ Berichterstattung der lokalen Medien (mindestens vier Artikel pro Jahr). OS

Weitere Informationen unter: www.fairtrade-towns.de

VON OLE SCHULZ

Es beginnt alles bei der guten alten Kaffeepause: „Als Erstes muss es einen Ratsbeschluss geben, dass bei öffentlichen Sitzungen nur noch fair gehandelter Kaffee getrunken wird“, sagt Kathrin Bremer von der unabhängigen Siegel-Initiative Transfair. Welche Kommune sich zu diesem Schritt entschließt, hat die erste Hürde genommen, um als Fairtrade Town anerkannt zu werden.

Das sollte dann im Rathaus und der Verwaltung möglichst auf andere Genussmittel ausgedehnt werden, auf fair gehandelten Tee, Orangensaft, Zucker, Honig, Kekse, Schokolade oder Kakao. Wer weitere Kriterien erfüllt – wozu schließlich auch die Verpflichtung zählt, ansässige Schulen, Kirchen und Vereine mit einzubeziehen und lokale Medien zur Berichterstattung zu gewinnen –, kann sich mit dem Titel Fairtrade Town schmücken. „Mittlerweile ist das eine weltweite Kampagne“, sagt Bremer. Fairtrade Towns gebe es in 18 Ländern, in Großbritannien alleine über 400.

Es sind fünf klar definierte Kriterien, die es dabei zu erfüllen gilt: Eine zu bildende Steuerungsgruppe muss unter anderem ermitteln, wie viele Geschäfte, Cafés und Restaurants fair gehandelte Waren im Angebot haben, um gegebenenfalls weitere zu einer entsprechenden Erweiterung des Angebotes zu bewegen. Denn es gibt einen festgelegten Schlüssel je Einwohner. Bei 20.000 bis 25.000 Einwohnern müssen je Stadt oder Gemeinde mindestens fünf Geschäfte und drei Gastronomiebetriebe vorhanden sein, die Fairtrade-Produkte verkaufen oder ausschenken.

In Deutschland wurde die Kampagne allerdings erst Anfang dieses Jahres gestartet und mit Neuss nach der saarländischen Landeshauptstadt Saarbrücken im Juni erst die zweite deutsche Stadt zur Fairtrade Town. „Dafür stehen aber auch rund 40 weitere Kommunen und Städte in den Startlöchern“, so Bremer, anlässlich der Fairen Woche soll ein Teil von ihnen bereits ausgezeichnet werden. Während die Fairtrade-Town-Initiativen in anderen Ländern auf ehrenamtlicher Basis organisiert sind, hat Transfair eine Stelle für die Kampagnenleitung in Deutschland eingerichtet, die Bremer übernommen hat.

Eine weltweite Kampagne: Fairtrade Towns gibt es in 18 Ländern, alleine in Großbritannien sind es über 400

Ohne die ehrenamtliche Mitwirkung der Zivilgesellschaft geht aber auch hier nichts. Das sei im Falle von Neuss nicht anders gewesen, sagt Gisela Welbers von der Neusser Eine-Welt-Initiative (Newi). Sie hat die Bewerbung „mit vielen anderen“ vorbereitet. Am Ende hätte man auch Menschen erreicht, so Welbers, die „vorher noch nicht mit dem Fairen Handel in Berührung gekommen“ seien. „Das sind die Früchte von 20 Jahren Arbeit.“

In Neuss hat das Engagement für den Fairen Handel eine lange Tradition. Bereits seit 1991 verwendet die Stadt für ihren Eigenbedarf nur fair gehandelte Produkte wie Kaffee und Tee. Als erste deutsche Stadt hat Neuss 2006 die Berücksichtigung der acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in seinem Vergabewesen verankert, darunter den Ausschluss ausbeuterischer Kinderarbeit. „Im fairen öffentlichen Beschaffungswesen hat Neuss damit bundesweit Vorbildcharakter“, sagt auch Transfair-Geschäftsführer Dieter Overath.

Nun haben Verwaltung und Politik in Neuss erneut an einem Strang gezogen: „Der Vorschlag kam direkt aus der Verwaltung, aus dem Büro des Agenda-21-Zuständigen“, sagt Welbers von der Newi, und der Bürgermeister sei gleich angetan gewesen. Ist die Politik erst mit im Boot, dann gibt es viele Ansatzpunkte: vom Ökocafé über Schulen und Sportvereine bis zum Lebensmitteleinzelhandel.

Ist die Politik mit im Boot, gibt es viele Ansätze: vom Café über Schulen und Vereine bis zum Einzelhandel

Allerdings hinkt Deutschland anderen Ländern hinterher, besonders dem Vorreiterland Großbritannien. Dort sind die ersten Fairtrade Towns bereits im Jahr 2001 entstanden, inzwischen hat sich Wales sogar schon zum „Fairtrade Country“ ernannt. „In Großbritannien hat die Frage ethischen Konsums schon lange eine größere Bedeutung als bei uns“, sagt Transfair-Geschäftsführer Dieter Overath.

Doch trotz Wirtschaftskrise würde der gerechte Handel auch hierzulande wachsen. Dazu werden die Fairtrade-Town-Bewerber ausdrücklich dazu aufgefordert, bei Supermarktketten und Discountern anzufragen, ob diese nicht Fairtrade-Produkte in ihr Sortiment nehmen wollten. Das ist ein nicht unumstrittener Ansatz, da ein Discounter wie Lidl nicht nur wegen schlechter Arbeitsbedingungen und unzulässiger Überwachung seiner Mitarbeiter, sondern auch wegen seiner fatalen Niedrigpreispolitik in Verruf geraten ist.

Doch Transfair-Geschäftsführer Dieter Overath verteidigt die Strategie: „Wir sind kein Unternehmens-TÜV.“ Es sei unbestreitbar, dass es bei den Discountern „kritikwürdige Bereiche“ gebe, aber die Fairtrade-Bewegung wäre damit überfordert, wenn sie auch noch gewerkschaftliche Aufgaben im eigenen Land übernehmen müsse. Zudem kauften gerade die Deutschen viel bei Discountern ein. „Erklären Sie das mal einem Kleinbauern in Burkina Faso oder einer Kooperative in Guatemala, wenn Sie ihre Fairtrade-Produkte auf einmal nicht mehr abnehmen.“ Außerdem würde die Fallhöhe für jene Supermärkte und Discounter größer, die Fairtrade-Produkte anbieten. Dadurch wachse der Druck, ihre Mitarbeiter korrekt zu behandeln, glaubt Overath. Overaths Ansatz, „ohne Berührungsängste“ Kooperationspartner zu suchen, um den gerechten Handel mit den Ländern des Südens zu fördern, verfolgt man jedenfalls auch in Neuss. Hier will man jetzt an die vor Ort ansässigen Wirtschaftsunternehmen herantreten, um sie zur Teilnahme an der Fairtrade-Town-Kampagne zu motivieren. Gisela Welbers ist optimistisch: „Das ist wie ein Schneeballsystem. Hat man die Ersten überzeugt, dann machen auch andere mit.“

Weitere Infos: www.fairtrade-towns.de, www.newi-ev.de Der diesjährige Gewinner des Wettbewerbs „Hauptstadt des Fairen Handels“ wird während der Fairen Woche am 16. September in Düsseldorf bekannt gegeben. Weitere Informationen zum Wettbewerb: www.service-eine-welt.de/hauptstadtfh/hauptstadtfh-start.html