„Man hätte mehr erreichen können“

Flüchtlingsvertreter sind ernüchtert: Auch das neue Gesetz wird dem Menschen und seiner Geschichte nicht gerecht

BERLIN taz ■ Es könnte so menschlich zugehen im zuwanderungsgeregelten Deutschland: Sexuell verfolgte Frauen finden eine sichere Zuflucht. Gremien retten Härtefälle, die auszuweisen unzumutbar wäre. Und niemand muss sich mehr unverschuldet von Duldung zu Duldung hangeln. So weit die Theorie. Wie human aber ist die Praxis? „Man hätte mehr erreichen können“, sagt Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche, der taz.

Musterfall eins: Die Härtefallkommission. In den meisten Bundesländern tagen solche Gremien. Das neue Regelwerk sichert ihnen Status und Funktion – und in der Tat haben sie einige hundert Härtefälle vor der Abschiebung bewahrt. Allerdings sind die Hürden hoch, die der Hilfe Suchende überwinden muss. So entscheidet das Gremium selbst, ob es einen Fall bearbeitet. Einen Anspruch darauf gibt es nicht. Dann entscheiden letztlich die Innenminister. Auch wenn eine Härtefallkommission für das Bleiberecht plädiert hat, dürfen sie das Votum der Kommission ungestraft missachten.

Dass sie dies auch tun, belegt das Beispiel Berlin. Dort sprach sich das Gremium seit Januar 140-mal gegen eine Abschiebung aus – die Innenverwaltung folgte dem Votum aber nur in 89 Fällen. Selbst Behinderte und Mütter kleiner Kinder verbannte sie aus dem Land.

Musterfall zwei: die Kettenduldung. Eigentlich sollte die jeweils vierteljährliche Verlängerung dieses unsicheren Status längst die Ausnahme sein, reserviert für einzelne Abschiebesaboteure. Denn seit Januar gilt: Wer unverschuldet nicht abgeschoben werden kann, soll nicht mehr über Jahre nur geduldet sein. Er oder sie soll nach 18 Monaten ein Aufenthaltsrecht erhalten.

Die Realität aber sieht anders aus. Gerade einmal einer von zwanzig Kettengeduldeten habe einen sicheren Status erhalten, sagt Dethloff. „Die Flüchtlinge sind maßlos enttäuscht.“ Eine Ursache der Misere: Nur wer nicht mitverantwortlich ist für sein Abschiebehindernis, kann den neuen Status erhalten. Viele Behörden legen diese Vorgabe sehr streng aus. Wenn sich etwa eine Iranerin weigert, für das Passfoto den Tschador zu tragen, wie der Iran es verlangt, dann hat sie meist keine Chance mehr auf eine Aufenthaltserlaubnis.

Eines immerhin gilt auch unter Betroffenen als großer Fortschritt: dass seit Januar Flüchtlinge anerkannt werden, die vor nichtstaatlicher Verfolgung fliehen mussten. Zwar durften auch vorher schon Frauen in Deutschland bleiben, denen daheim Beschneidung oder Vergewaltigung drohte. Aber man hat sie lediglich geduldet.

„Die neuen Regeln bedeuten also nicht, dass mehr Menschen ins Land kommen“, sagt Victor Pfaff, der sich als Rechtsanwalt auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisiert hat. „Aber die hier sind, haben ein besseres Leben.“ Denn das Dasein als nur Geduldete ist asketisch: Eine Mutter erhält etwa kein Kindergeld. Sie darf nicht einmal von Berlin nach Hamburg fahren – Duldung gilt nur für ein Bundesland. Zwar darf sie unter Umständen jobben, doch kaum ein Chef nimmt Mitarbeiter, deren Aufenthalt nicht gesichert ist.

In anderen Teilen ist das neue Recht nicht so fortschrittlich. „Unzureichend“ findet Pfaff, wie nun der Familiennachzug geregelt ist. Zwar habe sich ein Detail tatsächlich verbessert: Kinder unter 16 haben jetzt ein verbrieftes Recht, in die Bundesrepublik nachzuziehen – auch wenn nur ein Elternteil hier lebt, der aber allein sorgeberechtigt ist. An anderer Stelle aber wuchern nach wie vor die Abstrusitäten. Etwa die „Omafrage“: Was tun, wenn die Mutter in der Heimat gebrechlich und senil wird?

Pfaff betreut den Fall einer iranischen Witwe. Ihre vier Kinder leben alle in Deutschland, wohl situiert und gut integriert. Gern wüssten sie ihrer greise Mutter bei sich. Ein unmögliche Mission: Sie dürften sie nur nachholen, wenn alles andere „außergewöhnliche Härte“ ist, so das Juristendeutsch. Also wenn die Mutter schwer krank wäre. Dann aber erhöbe sich gleich das nächste Hindernis. Nachziehen darf nur, wer kranken- und pflegeversichert ist. Doch keine Krankenversicherung nimmt eine alte, siechende Frau auf.

Dethloff sieht nur einen Ausweg aus der Dauermisere: „Wir müssen radikal umdenken. Ein Flüchtling ist kein lästiger Eindringling. Er ist ein Mensch in Not.“ COSIMA SCHMITT