wortwechsel
: „Betroffen!“„Bewegt!“
Weg vom Fenster!

Für Ex-Familienministerin Anne Spiegel kollidierten private existenzielle Familienkrisen mit politischen Krisen der tragischen „Jahrhundertflut“. Wachmacher oder Trauerspiel? Beides?

10. April 22: Auf einer Pressekonferenz entschuldigt sich die Noch-Familienministerin für ihren langen Familienurlaub nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz Foto: Annette Riedl/dpa

„Rücktritt von Ministerin Anne Spiegel: Verheerendes Krisenmanagement. Einmal mehr haben die Grünen im Umgang mit einer wichtigen Personalkrise versagt“, taz vom 11. 4. 22

Mehr Empathie erwartet

Wenn ich von SpitzenpolitikerInnen heute höre, dass die Politik „so brutal“ sein kann, dann ist mir das zu wenig differenziert. Es sind die Handelnden in Konflikten, die brutal vorgehen, desavouieren und gelegentlich alte Rechnungen begleichen. Neid und Missgunst sind weitere Faktoren. In Skandinavien geht vieles für Familien mit Kindern einfacher. In Sachen Fehlerkultur haben wir in der Politik Nachholbedarf. Die Ministerin Spiegel zeigte ihre tiefe Erschütterung am Sonntag, bereits angezählt und ausgegrenzt. PolitikerInnen sehen sich in Rollen gefangen, die sie nicht allein definieren. Bei den Grünen hätte ich mehr Empathie erwartet. Anne Spiegel hat schließlich sicher auch bleibende Verdienste.

Martin Rees, Dortmund

Die Selbstzerlegung

In einer der gefährlichsten politischen Konstellationen Europas, am Rande von WK III, zerlegen sich auch die letzten „Heeresrestbestände“ dieser Gurkentruppe, vulgo Regierung, mühelos, ja geradezu professionell – eigenhändig! Unfassbar! Lowandorder auf taz.de

Mich wundert eigentlich nur, dass Frau Spiegel sich nicht auch noch als Opfer der Klimakatastrophe dargestellt hat. Sorry, das Verständnis für die Dame ist nach ihrem schlechten Krisenmanagement und der Videokonferenzlüge einfach unangebracht. Nachtsonne auf taz.de

Der Po­li­ti­ke­r*in­nen­be­ruf

„Das laute Schweigen der Grünen“,

taz vom 12. 4. 22

Anne Spiegel hat Fehler gemacht. Die Chatprotokolle sind peinlich. Allerdings fragt auch niemand danach, wie und wer diese durchgestochen hat. Es zeigt, als Funktionärin darfst du niemandem trauen. Frau Spiegel entscheidet sich, ihre Familie in den Blick zu nehmen – nach zwei Jahren Pandemie und einer Diagnose ihres Mannes, die belastend ist. Sie wollte dies nicht nach außen tragen, diese Entscheidung muss ihr zugestanden werden. Familien haben gelitten in der Pandemie. Als Frau darf man das aber nicht öffentlich sagen. Ich bin fassungslos. Vielleicht war der entscheidende Fehler: Die Probleme vorher nicht öffentlich zu machen. Wenn diese dann aber von einer Frau benannt werden, steht sofort „Überforderung“ und „ungeeignet fürs Amt“ im Raum. Es gibt sogar manche, die immer noch höhnen, soll sie sich doch lieber ordentlich um die Familie kümmern. Anne Spiegels Presseauftritt war nicht gut beraten und vorbereitet, aber die Emotionen können auch durchgehen. Anstatt Politik humaner zu machen, treten jetzt alle nach. Ich bin entsetzt. Und trotzdem: Wenn es in der Politik weiterhin so zugeht und so mit Belastungen im Po­li­ti­ke­r*in­nen­be­ruf umgegangen wird, muss sich niemand wundern, wenn das nur noch eisenharte Funktionäre machen und es keinen Wandel im Politikstil gibt. Was mich etwas aussöhnt: Der Artikel „Zwischen den Krisen“ von Patricia Hecht benennt klar die Fehler, die im System liegen. Andrea Wagner

„Leute, die mich führen“

„Zwischen den Krisen. Die zurückgetretene Familienministerin Spiegel erklärte ihren Urlaub mit persönlichen Gründen. Muss während privater Krisen eine Auszeit möglich sein?“, taz vom 11. 4. 22

Ich – der Bürger – habe das Recht, zu verlangen, dass die Leute, die mich verwalten, führen, regieren und somit Entscheidungen treffen, die tief in mein Leben eingreifen können, ihre ganze Energie darauf verwenden, meine Kommune, mein Bundesland oder die ganze Republik unter Hintanstellung sämtlicher persönlicher Interessen zu leiten, zu schützen – eben „Schaden von ihm abzuwenden“. So, wie sie es in ihrem Amtseid versichert haben. Wenn das mit familiären Situationen temporär oder dauerhaft kollidiert, so sollten sie diese öffentlichen Ämter gar nicht übernehmen oder gegebenenfalls aus persönlichen Gründen davon zurücktreten – rechtzeitig, wohlgemerkt. Wolfgang Harder, Berlin

Nur ein Bauernopfer?

Überraschenderweise waren sich alle Leitmedien in ihrer unbarmherzigen, schnellen Forderung nach einem Rücktritt einig. Es lohnt, darüber nachzudenken, ob das einem Habeck auch passieren würde. Dem bescheinigte Tobias Rapp im Spiegel gerade einen authentischen Heiligenschein, wenn es um die Vermeldung schwieriger persönlicher Sachverhalte in sozialen Medien geht. Was auffällt: Warum meldeten sich die Top-Grünenfrauen nicht zu Wort, um Anne Spiegel in dieser schwierigen Situation sofort öffentlich den Rücken zu stärken? Wo war der einfühlsame Tweet von Malu Dreyer, ihrer ehemaligen Chefin? Hatte sie nicht eine Verantwortung, als sich die ihr untergebene Ministerin mehrere Ministerposten aufbürdete? Das Gleiche gilt für die Parteifreunde Spiegels, die zuließen, dass sich die Politikerin so übernahm.

Lindenberg auf taz.de

Wer genau wissen will, warum Frau Spiegel gehen musste, der schaue sich die rheinland-pfälzische Landesregierung an – die Machtverhältnisse dort und die Verantwortlichkeiten der Unglücksnacht. Frau Spiegel ist nur das Bauernopfer. Stefan Hammes, Darmstadt

Niemand warnte!

Frau Spiegel ihren Urlaub während der Flut vorzuwerfen, ist einfach Unsinn. Die Fachleute ihres Ministeriums waren gefragt und haben ihr Möglichstes getan. Die CDU-Herren, die den Rücktritt forderten, sollten sich eher Gedanken machen, was der damalige Landrat (CDU-Mitglied!) als Leiter des Krisenstabes versäumt hat. Nachdem die Gemeinde Schuld zerstört wurde, brauchte die Flut ja noch 7 Stunden, bis sie Sinzig erreichte – und niemand warnte die Bevölkerung.

Heinz-Martin Engel, Bendorf