kritisch gesehen
: Figuren, die die Arschkarte gezogen haben

Rock-göhriger und selbstzerstörerischer als bei Ibsen: Rachel Behringer als Hedda Gabler Foto: Kerstin Schomburg

Ein Revolver, schrabbelnde Banjos und lange Blicke. Die Begegnung von Rachel Behringer als Hedda und Heiner Kock als Ejlert Lövborg ist ein Showdown. Mit dem Rücken zum Publikum steht Behringer da, in weißem Cowboyhut und -stiefeln. Ein heller Trench umweht ihre Netzstrumpfhose, nervös wippt sie mit einem Bein. So als wolle sie losrennen oder -treten. Ejlert, das ist ihr Gegenspieler, nicht Jørgen Tesman, jener Pantoffelheld, den sie aus Bequemlichkeit geheiratet hat. Mit ihm lebt sie in der Provinz und wartet auf dessen Professur.

Nur Ejlert, Heddas Ex-Geliebter, könnte ihm im Weg stehen. Er ist genialer, radikaler. Sein Manuskript innovativer. Plötzlich steht dieser in dem reduzierten Raum, den Mirja Biel für ihre Inszenierung am Theater Lübeck entworfen hat. Steht da, ein bisschen wie Charles Bronson – nur ohne Schnäuzer. Am Ende gewinnt Hedda, indem sie ihm den Revolver zum Selbstmord reicht. Sie hat die Waffe(n), hat „Macht über einen Menschen, – ein einziges Mal!“

Mirja Biel erzählt nicht Ibsen pur, sondern eine Überschreibung von Antje Rávik Strubel. Das Gerüst des Dramas lässt die Autorin stehen, das Ende (natürlich) nicht. Hedda schmort auch in Strubels „Intervention“ in der Langeweile ihres Lebens. Emanzipierter, rock-göhriger und selbstzerstörerischer ist sie schon und Liebe ist für sie ein „klebriges Wort“. Lauernd provoziert Behringers Hedda Western-Atmosphäre und schubst in Abgründe, bevor sie sich mit ihrer ehemaligen Mitschülerin Thea Elvsted (Lilly Grupper) ins Bett kuscheln und über die Welt- und Literaturgeschichte plaudern wird. Eine Live-Kamera projiziert den kichernden Girls-Talk auf die Rückwand; die Männer (Jan Byl als Jørgen Tesman, Heiner Kock als Ejlert Løvborg und Michael Fuchs als Prof. Brack) sind da schon lange fort, betrunken oder tot.

Über Hedda, Frau Alving und die Frau vom Meer, über Simone de Beauvoir und Virginia Woolf, über Mut, Emanzipation und über Ibsen plaudern die beiden, schmuggeln flugs noch etwas Meta-Ebene in den Abend – „Sind wir denn wirklich nur zwei Figuren, die auf ewig in der Wiederholung stecken? Zwei Figuren, die die Arschkarte gezogen haben?“ – und auch noch eine Prise zärtlicher Frauensolidarität. Doch dieser Schluss und Bruch im Stück kommt hinterher geklappert und funktioniert nicht wirklich, auch wenn die Schauspielerinnen sich schön schräg an Pippi Lotta Rists Interpretation von Chris Isaaks „Wicked Game“ ran singen. Papierschnipsel rieseln dazu aus dem Bühnenhimmel. Die letzten Reste von Løvborgs Manuskript? Oder einfach nur ein schönes Bild?

Richtig überzeugend ist das alles nicht. Allzu sprunghaft und beliebig wandert die Inszenierung von Western zu Krimi, von verletzten Gefühlen zu distanzierter Ironie und verirrt sich schließlich unentschieden zwischen Storytelling, Westernwelt und Frauenpower. Katrin Ullmann

Weitere Vorstellungen: So 8. 5. 18.30 Uhr; Fr 20. 5. 20 Uhr; Sa 4. 6. 20 Uhr; So 12. 6., 16 Uhr, Lübeck, Kammerspiele